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Standpunkt No 521, 12. Mai 2021

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4 | Standpunkt der Wirtschaft ABSTIMMUNGEN 12. Mai 2021 CO 2 -GESETZ – Das neue CO 2 -Gesetz birgt Zündstoff. Vor der Abstimmung am 13. Juni 2021 bringen sich sowohl Befürworter wie auch Gegner in Stellung. Zielführend oder unrealistisch teuer? Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über das neue CO 2 -Gesetz und damit über die Klimapolitik des laufenden Jahrzehnts ab. Mit dem neuen Gesetz soll der Rahmen zur Erreichung der Ziele des Übereinkommens von Paris gesteckt werden. Gemäss dem Übereinkommen soll die durchschnittliche globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf deutlich unter 2 Grad Celsius begrenzt werden, wobei ein maximaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius angestrebt wird. Dazu sollen gemäss neuem CO 2 -Gesetz die Treibhausgasemissionen in der Schweiz bis 2030 gegenüber 1990 halbiert werden. Mindestens 75 Prozent der Massnahmen sollen im Inland erfolgen. Diese Ziele sollen mit einer Mischung aus neuen Umweltabgaben, verschärften Vorschriften für Fahrzeuge und Gebäude sowie dem Ausbau des Klimafonds erreicht werden. Aktuell beträgt die CO 2 -Abgabe auf Heizöl und Erdgas 96 Franken pro Tonne; maximal wären gemäss aktuell geltendem Gesetz 120 Franken pro Tonne möglich. Mit dem neuen Gesetz soll diese Obergrenze auf 210 Franken pro Tonne erhöht werden. Zudem soll der maximale Treibstoffzuschlag von 5 auf 12 Rappen pro Liter steigen. Vorgesehen ist weiter eine neue Flugticketabgabe von 30 bis 120 Franken pro Flug. Wirtschaft uneins Mit dem neuen CO 2 -Gesetz soll die CO 2 -Abgabe auf Heizöl gegenüber heute auf 55 Rappen pro Liter rund verdoppelt werden. Bild: Shutterstock Die Wirtschaftsverbände positionieren sich hinsichtlich der bevorstehenden Abstimmung unterschiedlich. Eine Stimmfreigabe hat die Wirtschaftskammer Baselland beschlossen und ist damit dem Schweizerischen Gewerbeverband (sgv), der Dachorganisation der Schweizer KMU-Wirtschaft, gefolgt. Der sgv begründet die Stimmfreigabe damit, dass das Gesetz einerseits transparente und verlässliche Rahmenbedingungen schaffe und den KMU und dem Forschungsplatz Schweiz neue wirtschaftliche Chancen bieten würde. Andererseits setze das Gesetz aber auf neue und höhere Abgaben, auf Technologieverbote und auf Subventionen. Dies sei wiederum schädlich für die Wirtschaft. Mobilität- und Erdöl klar dagegen Klar gegen das Gesetz sprechen sich etwa die Mobilitätsverbände Auto- Schweiz, der Automobil Club der Schweiz (ACS) oder der Schweizerische Nutzfahrzeugverband Astag aus. Auch die Erdölbranche engagiert sich gegen das neue Gesetz. So bringe das Gesetz gemäss dem Branchenverband Avenergy Suisse für die Schweizer Bevölkerung und die Wirtschaft deutliche Mehrbelastungen mit sich. Das Gesetz fokussiere sich einseitig auf international nicht spürbare Massnahmen im Inland statt auf konkrete von der Wirtschaft vorangetriebene innovative Lösungen wie beispielsweise die Entwicklung von CO 2 -neutralen Treib- und Brennstoffen. Auch der Hauseigentümerverband Schweiz (HEV) lehnt das Gesetz ab. economiesuisse für Gesetz Die Ja-Parole zum revidierten CO 2 - Gesetz hat der Wirtschaftsdachverband economiesuisse ausgegeben. Mit Innovationen und effizienten Technologien könne die Schweizer Wirtschaft massgeblich zur Reduktion von Treibhausgasen und damit zur Lösung des Klimaproblems beitragen. Daher trage der Wirtschaftsverband die Gesetzesrevision mit, obwohl die Ausgestaltung des Gesetzes in einigen wesentlichen Punkten nicht den ONLINE-EVENT ZUM NEUEN CO 2 -GESETZ Das neue CO 2 -Gesetz birgt Zündstoff: Informieren Sie sich am Energie-Event der Liga Baselbieter Stromkunden vom kommenden 18. Mai ab 19 Uhr über die Vor- und Nachteile des neuen CO 2 -Gesetzes. Vor der wichtigen Abstimmung treffen am Energie- Event der Liga Baselbieter Stromkunden Befürwortende sowie Gegnerinnen und Gegner der Gesetzesrevision aufeinander. Als Gäste begrüsst die Liga Baselbieter Stromkunden: – Monika Rühl (Direktorin economiesuisse) Vorstellungen von economiesuisse entspricht. Langes Ringen im Parlament Das neue CO 2 -Gesetz beschäftigte auch die Politik stark. Nach langem Ringen hat sich das nationale Parlament im September 2020 auf ein neues Gesetz geeinigt. In der Schlussabstimmung fand das revidierte Gesetz in beiden Kammern eine deutliche Mehrheit. Es wurde im Nationalrat mit 129:59 Stimmen bei 8 Enthaltungen und im Ständerat mit 33:5 Stimmen bei 6 Enthaltungen gutgeheissen. In einem ersten Versuch hat das Parlament ein wesentlich weniger engagiertes CO 2 - Gesetz Ende 2018 noch relativ deutlich abgelehnt. Simon Dalhäuser – Markus Meier (Direktor HEV Schweiz) – Stefan Müller-Altermatt (Nationalrat Die Mitte) – Hans Wach (Geschäftsleiter Gasverbund Mittelland AG) So sind Sie dabei: Die Veranstaltung findet am 18. Mai von 19 bis 20.15 Uhr statt. Die Online-Veranstaltung ist kostenlos und öffentlich. Mit dem folgenden Link können Sie die digitale Veranstaltung bequem und unkompliziert live mitverfolgen und mitdiskutieren: vimeo.com/539058137 PRO – Das Netto-Null-Ziel 2050 erreichen wir nur mit + dem CO 2 -Gesetz. – Ja zur Erreichung des Netto-Null-Ziels CONTRA – Das CO 2 -Gesetz ist zu einseitig, zu tiefgreifend und für viele Wohneigentümer zu teuer. Nein zu diesem CO 2 -Gesetz Die Ambitionen der Schweizer Wirtschaft in der Klimapolitik sind hoch – nicht erst seit den «Fridays for Future». Mit Innovationen und effizienten Technologien hat sie ihren Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen in den vergangenen Jahren zunehmend intensiviert und will ihn künftig noch ausbauen. economiesuisse hat dazu Ende letzten Jahres ein klares Bekenntnis verabschiedet: Die Wirtschaft senkt ihre CO 2 -Emissionen bis 2050 auf Netto-Null. Das neue CO 2 -Gesetz ist dabei ein wichtiges Element zur Umsetzung dieses Ziels und zur vollständigen Dekarbonisierung der Gesellschaft. Kostenwahrheit erhöhen Monika Rühl, Vorsitzende der Geschäfts leitung von economiesuisse Für unser hochgestecktes Ziel sind letztlich wirtschaftsverträgliche Rahmenbedingungen entscheidend: In diesem Sinn haben economiesuisse und die angeschlossenen Branchenverbände im Februar ihr Versprechen in einem «Klimaprogramm» konkretisiert. Dieses umfasst Aktionsfelder, welche als Handlungsanweisungen zur Erreichung des Netto-Null-Ziels definiert wurden. Darin geht es beispielsweise darum, dass Unternehmen ihre Prozesse weiter optimieren und die eigene Effizienz steigern. Weiter soll eine Lenkungsabgabe externe Klimakosten des motorisierten Verkehrs internalisieren und damit die Kostenwahrheit erhöhen. economiesuisse fordert deshalb eine Gleichbehandlung von Brennstoffen und Treibstoffen. Zudem führt die Digitalisierung zu Effizienzsteigerungen und neuen Geschäftsmodellen. Daher sollen digitale Lösungen stärker als Treiber genutzt werden. Basierend auf der strategischen Ausrichtung unseres Klimaprogramms hat economiesuisse die Ja-Parole zum CO 2 -Gesetz beschlossen. Wir tragen diesen politischen Kompromiss als Schritt in Richtung Netto-Null mit, obwohl die Ausgestaltung des Gesetzes nicht vollumfänglich unseren Wunschvorstellungen entspricht. Positiv hervorzuheben ist der uneingeschränkte Zugang für Unternehmen zum System der Zielvereinbarungen. Damit steht es allen Unternehmen frei, die CO 2 -Abgabe mittels Massnahmen zur Emissionsreduktion zurückerstattet zu erhalten. Wichtig für die grösseren Emittenten ist der Zusammenschluss mit dem EU-Emissionshandelssystem, denn ohne diesen Zusammenschluss wäre das rein schweizerische Emissionshandelssystem wohl beendet worden. Die Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung in der Klimapolitik bewusst. Ein Nein zum CO 2 -Gesetz liefe ihrem eigenen Netto- Null-Ziel entgegen: Das bestehende Gesetz bliebe zwar in Kraft, hingegen würden befristete Elemente wie die Zielvereinbarungen mit Rückerstattung der CO 2 -Abgabe auslaufen. Die Verwaltung müsste ein neues Gesetz ausarbeiten, womit wertvolle Zeit für die Erreichung der Klimaziele 2030 und 2050 verloren ginge. Wir sagen darum klar Ja zum CO 2 -Gesetz. Markus Meier, Landrat und Direktor HEV Schweiz Vorweg: Das Klima ist auch den Hauseigentümern wichtig. Der Gebäudebereich konnte den Treibhausgasausstoss gegenüber 1990 bis 2019 um 34 Prozent senken. Das entspricht bereits dem Zielwert von 2030 für den Gesamtausstoss aller Sektoren. Noch eindrücklicher zeigt sich die Reduktion, wenn das gleichzeitige Bevölkerungswachstum von 27 Prozent und die Zunahme der Wohnflächen um 46 Prozent berücksichtigt werden. Dann entspricht die erzielte Reduktion im Gebäudesektor gegenüber 1990 satten 70 Prozent. Das kommt nicht von ungefähr. Allein die Mitglieder des Hauseigentümerverbandes (HEV) investieren jährlich rund 9,5 Milliarden Franken in den Erhalt ihrer Liegenschaften. Hochgerechnet auf den ganzen Wohnimmobilienmarkt ergibt dies Investitionen von jährlich 20 Milliarden Franken. Der Grossteil der baulichen Massnahmen hat positive Auswirkungen auf die Energieeinsparungen und den Treibhausgasausstoss. Bei einem Einfamilienhaus mit einem Jahresbedarf von 3000 Litern Heizöl kostet deren Beschaffung rund 2472 Franken (Stand März 2021). Mit dem vollen Aufschlag der CO 2 -Abgabe von 210 Franken pro Tonne CO 2 müssen für diesen Jahresbedarf künftig 3387 Franken – 37 Prozent (!) mehr – hingeblättert werden. Allerdings führt der im neuen Gesetz für Gebäude bereits ab 2023 vorgesehene Grenzwert von 20 kg CO 2 pro m 2 beheizte Fläche dazu, dass schon ab 2023 bei 75 Prozent der Bauten bei einem Brenner-/Heizungsersatz das Heizsystem (Energie träger) gewechselt und zusätzliche Sanierungsmassnahmen durchgeführt werden müssen. Bei den meisten Häusern ist beispielsweise ein Umstieg auf Wärmepumpen nicht ohne zusätzliche Dämmung der Gebäudehülle möglich. Die Gesamtkosten für einen Heizungsersatz können sich damit auf das Dreibis Fünffache der Kosten des Heizungsaggregats belaufen – bei einem Einfamilienhaus sind das schnell einmal 50 000 bis über 100 000 Franken. Kritischer Punkt: das unmittelbar und voll aufzubringende Investitionsvolumen. Massiv mehr Strom nötig Die kontinuierliche Absenkung des Grenzwertes um je 5 kg alle fünf Jahre führt dazu, dass bei einem Heizungsersatz ab 2033 praktisch nur noch Wärmepumpen oder Holzheizungen infrage kommen. Das bedeutet auch, dass massiv mehr Strom zur Beheizung der Liegenschaften benötigt wird, insbesondere in den versorgungstechnisch kritischen Wintermonaten. Laut einer Empa- Studie dürfte sich infolge der Substitution von fossilen Treib- und Brennstoffen im Winterhalbjahr ein ungedeckter Bedarf von bis zu 18,4 TWh ergeben. Das entspricht fast der Gesamtleistung der vier sich in der Schweiz noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke. Im Gesamtfazit des HEV Schweiz ergibt sich für die vorliegende Totalrevision des CO 2 -Gesetzes somit: zu einseitig, zu tiefgreifend und für viele Wohneigentümer finanziell nicht verkraftbar. Deshalb stimme ich am 13. Juni Nein zu diesem CO 2 -Gesetz und empfehle Ihnen, es mir gleichzutun.

12. Mai 2021 ABSTIMMUNGEN Standpunkt der Wirtschaft | 5 AGRARINITIATIVEN – Die Landwirte Hansruedi Wirz und Claudia Brodbeck können den beiden Vorlagen, die am 13. Juni vors Volk kommen, nichts Gutes abgewinnen. «Nicht zurück auf den Ballenberg» Standpunkt: Frau Brodbeck, Herr Wirz, die eine Agrarinitiative setzt sich für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung ein, die andere fordert eine Schweiz ohne synthetische Pestizide. Vordergründig sind es hehre Ansichten. Weshalb wehren Sie sich trotzdem dagegen? Hansruedi Wirz: Ich kann Ihnen versichern, dass die Landwirtinnen und Landwirte jetzt schon gesunde Nahrungsmittel produzieren und nur bewilligte Mittel einsetzen, und dass wir in der Schweiz das weltweit sauberste und am besten kontrollierte Trinkwasser haben. Viele Auseinandersetzungen entstehen, weil die Messungen immer präziser werden, was das Beispiel des Würfelzuckers im Bielersee beweist. Claudia Brodbeck: Die Initianten stellen die Bauern so dar, als ob sich diese nicht um die Qualität des Trinkwassers kümmern würden. Dem ist nicht so! Auch wir wollen sauberes Trinkwasser. Wir arbeiten in engem Kontakt mit der Natur und sind und sehr bewusst, was wir tun. Bei der ganzen Diskussion geht aber oft vergessen, worin der Hauptauftrag der Landwirtschaft besteht: sie muss die Schweizer Bevölkerung ernähren. Sollten die Initiativen angenommen werden, importieren wir mehr Lebensmittel und dies mit einer schlechteren Umweltbilanz. Unser Ziel ist, nachhaltige Nahrungsmittel in der Schweiz zu produzieren. Und hierfür setzen sich die Bauern seit Langem ein. Warum sind Pflanzenschutzmittel auch aus der modernen Landwirtschaft nicht wegzudenken? Gibt es denn keine sinnvollen Alternativen? Wirz: Wir Obstbauern setzen biologische und synthetische Pflanzenschutzmittel ein, aber auch neue Produktionstechniken, damit wir gesunde, geschmackvolle und optisch einwandfreie Nahrungsmittel auf den Markt bringen können. Die Früchte- und Gemüseauswahl hat bei den Grossverteilern in den letzten Jahren stark zugenommen. Wenn unsere Schweizer Produkte plötzlich nicht mehr unserer gewohnten Qualität entsprechen, weil wir auf Pflanzenschutzmittel verzichten müssen, weicht der Konsument eben auf andere, meist ausländische Produkte aus. Brodbeck: Sie haben nach möglichen Alternativen gefragt. Natürlich arbeitet der Bauer nicht nur mit Pflanzenschutzmitteln; diese kommen erst zum Einsatz, wenn eine Schadschwelle überschritten ist. Es gibt andere Methoden, um einen Schädlingsbefall zu verhindern: Das Einnetzen der Kulturen zum Beispiel DIE AGRARINITIATIVEN IN KÜRZE oder sogenannte Verwirrungstechniken mit Pheromonen, den natürlichen Botenstoffen von Insekten. Doch diese Eingriffe reichen nicht immer aus, um die Kulturen zu schützen. Dann erst kommen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz. Zum Glück schreitet auch in diesem Bereich die Technologie rasch voran. Wie meinen Sie das? Brodbeck: Smart Farming nimmt immer mehr Bedeutung ein. Der Landwirt kann beispielsweise dank GPS sehen, wo seine Kultur mehr oder weniger Dünger oder Pflanzenschutzmittel benötigt und danach handeln. Oder er kann mit Drohnen gezielt nach Schädlingen suchen, die dann in einem bestimmten Teil der Kultur bekämpft werden können. Somit ist kein flächendeckendes Spritzen mehr nötig. Die Schweizer Landwirtschaft steht also nicht still, wie oft kritisiert wird? Wirz: Nein, sie ist ständig im Wandel, leider wird das von der übrigen Bevölkerung zu wenig wahrgenommen. Und diese Entwicklung wollen die beiden Initiativen einfach stoppen. Wir sitzen hier gerade im neuen Haus der Wirtschaft in Pratteln, ein topmodernes Gebäude voller Innovationen, das mir wirklich Freude bereitet. Andererseits denke ich: Die Landwirtschaft darf sich offenbar nicht weiterentwickeln wie andere Wirtschaftszweige. Man will uns Bauern zurück auf den Ballenberg drängen! Will man die wachsende Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten ernähren, braucht es nebst neuen Technologien weiterhin Pflanzenschutzmittel, aber andere, noch effizientere und schonendere als heute. Gerade deshalb ist in diesem Bereich weiterhin Forschung und Entwicklung nötig. Wären bei einer Annahme der Agrarinitiativen nur die Bauern die Verlierer? Wirz: Das wäre viel zu kurz gegriffen. Die beiden Initiativen hätten Auswirkungen auf die ganze Nahrungsmittelkette, vom Bauer über den Handel und die Verarbeiter bis zum Detailhandel. Es stehen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Besonders für die Verarbeitungsbetriebe sind die Initiativen sehr gefährlich: Wenn das Angebot im Inland knapper wird, müssen sie Rohstoffe importieren oder es werden direkt Fertigprodukte eingeführt. Diese Entwicklung würde in der Schweiz Wertschöpfungspotenzial vernichten. Nehmen wir an, die beiden Initiativen würden angenommen. Was Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» (Trinkwasserinitiative) verlangt, dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen unterstützt werden, die keine Pestizide (biologische und synthetische) einsetzen, ohne prophylaktischen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auskommen und deren Tierbestand mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann. Lanciert wurde die Initiative vom Verein «Sauberes Trinkwasser für alle», unterstützt wird sie von diversen Umwelt-, Naturschutzund Tierschutzorganisationen. Ihrerseits will die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (Pestizidinitiative) den Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie in der Boden- und Landschaftspflege verbieten. Zudem soll die Einfuhr von Lebensmitteln zu gewerblichen Zwecken, die synthetische Pestizide enthalten oder die mithilfe solcher hergestellt wurden, untersagt werden. Absender der Initiative ist die parteiunabhängige Bürgerbewegung Future3 aus Neuenburg. Sie wird von kleineren Organisationen unterstützt. Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ohne Gegenvorschlag ab. Der Wirtschaftsrat der Wirtschaftskammer Baselland, FDP, SVP und die Mitte haben die Nein-Parolen gefasst, ebenso der Schweizerische Gewerbeverband und economiesuisse. lv Hansruedi Wirz und Claudia Brodbeck setzen sich gegen die beiden Agrarinitiativen ein. Bild: Loris Vernarelli würde sich für Ihre Landwirtschaftsbetriebe konkret ändern? Brodbeck: Wir besitzen einen Betrieb mit Milchwirtschaft. Für unsere 40 Kühe haben wir genug eigenes Raufutter zur Verfügung, wir müssen kaum welches zukaufen. Bis hierhin würde uns die Trinkwasserinitiative also nicht gross tangieren. Anders sieht es beim Kraftfutter aus: Für eine effiziente Milchproduktion brauchen wir etwa zur Hälfte zugekauftes Eiweiss für die Futtermischung. Ohne diesen Zukauf würde der Milchertrag mit derselben Anzahl Kühe merklich sinken, der Ressourcenverbrauch an Wasser und Boden aber gleich hoch bleiben. Um den Minderertrag zu kompensieren, müssten wir uns weitere Einnahmequellen erschliessen. Wir erledigen für die Gemeinde Biel-Benken bereits die Grünabfuhren und das Kompostieren. Diese Dienstleistungen könnten wir noch ausbauen, bedauerlicherweise bietet dann der Ernährungssektor kaum mehr Perspektiven. Wirz: Für Betriebe mit Spezialkulturen, wie unserer in Reigoldswil einer ist und von denen es im Baselbiet viele gibt, wird nebst der Grösse die Topografie eine grosse Rolle spielen. Mit der Annahme der Agrarinitiativen wird die Mechanisierung nämlich zunehmen und dafür braucht es grosse, ebene Flächen. Unser sechs Hektaren grosser Betrieb liegt hingegen an einem Hang. In einem derartigen Gelände stösst man zum Beispiel beim Erstellen des Witterungsschutzes, inklusive Einnetzung der Kulturen, oder beim Einsatz von schweren Maschinen für die mechanische Bodenpflege rasch an Grenzen. Auf die Brennerei hätten die Initiativen wenig Einfluss, aber die Zukunft der Tafelobstproduktion würde infrage gestellt. Die Trinkwasserinitiative will allen Betrieben, die Pflanzenschutzmittel einsetzen oder Futter für ihre Tiere zukaufen, die Direktzahlungen streichen. Warum sind diese Bundesbeiträge für die Schweizer Landwirtschaft so wichtig? Brodbeck: Um dies zu verstehen, muss zuerst geklärt werden, was Direktzahlungen überhaupt sind. Es handelt sich nicht um Subventionen, ZU DEN PERSONEN Hansruedi Wirz betreibt mit seiner Familie einen Obstbau- und Brennereibetrieb in Reigoldswil. Daneben ist der ehemalige SVP-Landrat Präsident des Produktezentrums Kirschen/ Zwetschgen des Schweizer Obstverbands. Hansruedi Wirz ist Vizepräsident des Zentralvorstands der Wirtschaftskammer Baselland. Claudia Brodbeck ist Vizepräsidentin des Bauernverbands beider Basel und ehemalige CVP-Landrätin. Auf dem familieneigenen Hof in Biel-Benken stehen die Milchwirtschaft und der Ackerbau im Mittelpunkt. Auch eine Pferdepension gehört zum Angebot. sondern um Beiträge, die nur jene Landwirtschaftsbetriebe erhalten, die einen ökologischen Leistungsnachweis erfüllen. So müssen sie mindestens 7 Prozent ihrer Betriebsfläche als Biodiversitätsflächen bewirtschaften (Stand Baselbiet heute 13%; die Red.). Oder die Nährstoffbilanz im Boden muss ausgeglichen sein. Auch eine tiergerechte Haltung, eine geregelte Fruchtfolge und die gezielte Anwendung von Pestiziden gehören dazu. Biobetriebe generieren am meisten Direktzahlungen, weil sie mit ihrem System die Ökologie fördern und damit weniger Ertrag in Kauf nehmen. Dieser Minderertrag wird durch höhere Direktzahlungen und höhere Produktpreise ausgeglichen. Alles in allem dienen die Direktzahlungen der Umwelt. Wirz: Für die Spezialkulturen sind sie nicht so wichtig. Betriebe mit Beeren, Obst und Gemüse würden vermehrt aus dem Direktzahlungssystem aussteigen, sollte die Trinkwasserinitiative an der Urne eine Mehrheit finden. Für unseren Betrieb wäre der Ausstieg wahrscheinlich. Warum dieser drastische Schritt? Wirz: Mit unserem Obst holen wir den Hauptteil des Einkommens am Markt. Um in diesem weiterhin zu bestehen, müssen die Früchte den Normen und Vorschriften entsprechen. Ohne den nötigen Schutz der Bäume und Früchte ist dies unmöglich. Interview: Loris Vernarelli KMU-NACHRICHTEN EBM-Delegierte erteilen Entlastung Infolge Einschränkungen durch Covid-19 fand die Delegiertenversammlung der EBM (Genossenschaft Elektra Birseck) am vergangenen 21. April erneut ohne Zusammenkunft der Stimmberechtigten statt. Die Delegierten wurden stattdessen schriftlich und mit Videobotschaften informiert. «Sie durften zur Kenntnis nehmen, dass Primeo Energie in allen vier Geschäftssegmenten – Elektrizitätsgeschäft, Netz, Wärme und Erneuerbare Energien – im Jahr 2020 ein solides Resultat erzielte», heisst es in der Medienmitteilung des Münchensteiner Unternehmens. Der Gesamtumsatz erhöhte sich auf 834 (Vorjahr 696) Millionen Franken, und der Gewinn nach Minderheiten liegt mit 27 Millionen Franken im Bereich des Vorjahrs (28 Millionen Franken). Die Delegierten genehmigten den Lagebericht, die Jahresrechnung und die konsolidierte Jahresrechnung 2020 mit grossem Mehr und beschlossen antragsgemäss die Verwendung des Bilanzgewinns. Ebenso erteilten sie den verantwortlichen Organen für die Tätigkeit im Geschäftsjahr 2020 Entlastung. Bei den Erneuerungswahlen wurde der bisherige Verwaltungsrat Andreas Büttiker (Therwil) für eine weitere Amtsperiode bis 2025 in seinem Amt bestätigt. ra LANDRATS-NEWS An der Landratssitzung vom vergangenen 22. April wurden die folgenden ausgewählten Traktanden behandelt: 1. Vorlage: Temporäre Lärmschutzmassnahme auf der A22 [Traktandum Nr. 9] Die Möglichkeit der Temporeduktion als temporäre Lärmschutzmassnahme auf der A22 bei Liestal gab Anlass zu Diskussionen. Insbesondere die Zeit bis zur Realisierung der Lärmschutzmassnahmen durch den Bund empfand der Urheber als deutlich zu lang. Andere Stimmen unterstützten die Einschätzung der Verwaltung, dass eine Temporeduktion nicht die beste Lösung zum Lärmschutz im betroffenen Bereich darstellt. Das Postulat wurde mit 51:32 Stimmen bei 1 Enthaltung abgeschrieben. 2. Fragestunde der Landratssitzung [Nr. 10] Die Themen der Fragestunde waren von Corona dominiert. Unter anderem wurden Fragen zu den Auswirkungen auf die Sozialhilfe, zur Unterstützung von Musik-, Tanz- und Theaterschulen, zur Impfstrategie des Kantons und zum breiten Testen in Baselland gestellt. Beim breiten Testen wurde insbesondere nach dem aktuellen Stand gefragt und warum es bei vielen angemeldeten Unternehmen noch keine Durchführung gibt. Regierungsrat Thomas Weber entschuldigte sich bei den zahlreichen angemeldeten Unternehmen, die noch nicht mit dem Testprogramm beginnen konnten. Die Verwaltung betonte, dass die Registrier- und Anmeldeprozesse sowie das Verfahren laufend optimiert werden. 3. Motion: Massnahmen zur Reduktion der lokalen Hitzeentwicklung in dicht besiedelten Ortschaften [Nr. 18] Hitzig diskutiert wurde auch das Anliegen, das Raumplanungs- und Baugesetz (RBG) sowie die Raumplanungsverordnung (RBV) so anzupassen, dass die Gemeinden in ihren Zonenreglementen Kriterien zur Beurteilung der Umgebungspläne festlegen können. Diese sollen private Interessen wie Zufahrt und Parkierung sowie öffentliche Interessen wie z.B. einen Grünflächenanteil, einen Anteil unversiegelter Flächen oder besondere Vorschriften zur Bepflanzung berücksichtigen. Schlussendlich wurde die Motion mit 49:32 Stimmen überwiesen. 4. Postulat: Coronakrise: Bank-Gewinne für Berufsausbildung [Nr. 26] Der Initiant hat das Postulat zurückgezogen. Der Vorstoss ist damit erledigt. Die Wirtschaftskammer setzt sich auch weiterhin für die Lehrbetriebe der Region und die Lehrstellen ein, die aufgrund der Coronakrise unter Druck geraten sind. Die nächste Landratssitzung findet am 20. Mai 2021 statt.

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