SCHWEIZERISCHE 5. April 2024 Die Zeitung für KMU | Regionalbund | Standpunkt-Ausgabe Nr. 576 | 27. Jahrgang AZA 4133 Pratteln Post CH AG DIE MEINUNG Es geht um die Existenz von KMU im Baselbiet VERHANDLUNGEN MIT DER EU – Für viele Baselbieter KMU geht es bei der Frage, wie genau das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und Brüssel ausgestaltet wird, um das Fortbestehen. Mehrere Verbände fordern deshalb eine Beibehaltung der heute geltenden flankierenden Massnahmen. Klare Forderungen der KMU Von Christoph Buser, Direktor Wirtschaftskammer Baselland Wenn zurzeit die Schweizer Delegation in Brüssel über die neuen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verhandelt, steht für die Baselbieter KMU- Wirtschaft viel auf dem Spiel. Die Nordwestschweiz ist mit Blick auf die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung die mit Abstand am meisten exponierte Region der Schweiz. Auf unseren Brief, in dem wir einen eindringlichen Appell zum Schutz des Arbeitsmarkts an den zuständigen Bundesrat Guy Parmelin gerichtet hatten, reagierte der Wirtschaftsminister ausweichend und unverbindlich. In netten Worten schrieb er, dass man versuche, das Möglichste zu tun. Doch das reicht nicht: Bei den Verhandlungen mit der EU geht es um knallharte wirtschaftliche Interessen. Und um nichts anderes. Die KMU im Baselbiet müssen sich auf den Bundesrat verlassen können und sicher sein, dass er alles daransetzt, auch in Zukunft für gleich lange Spiesse zu sorgen. Zustände wie nach der Einführung der Bilateralen I anfangs der 2000er Jahre, wo in der Nordwestschweiz kurz darauf Lohn- und Preisdumping mächtig ins Kraut schossen, dürfen nicht wiederkehren. Die Wirtschaftskammer sagt nicht grundsätzlich Nein zu Verbesserungen am heutigen «Kontrollsetting» und anerkennt insbesondere den grossen Nutzen eines Rahmenabkommens. Aber es ist nicht jeden Preis wert. Abstriche beim heutigen Schutzniveau des Schweizer Binnenmarkts wären für zahllose KMU existenzgefährdend und deshalb nicht tolerierbar. Die Interessen der Wirtschaft sind nicht in allen Bereichen deckungsgleich. Das zeigt sich aktuell daran, wie die Interessenvertreter der grossen Handels- und Industrieunternehmen die Kontrollmechanismen als übertrieben darstellen – sie seien nur dem Eigennutz der Gewerkschaften geschuldet. Diese Erzählweise greift definitiv zu kurz und zeugt von wenig Praxiswissen. Die Forderung nach griffigen Massnahmen wie etwa einer Kautionslösungen stammt gleichermassen von Unternehmerseite. Denn die Erfahrung hat gezeigt, wie eine lasche Kontroll- und Sanktionspraxis bei Verstössen gegen das Arbeitsgesetz umgehend zu kriminellen Machenschaften führt, die letztlich rechtschaffene Unternehmen aus dem Markt drängen. Auf ein rigoroses Einhalten von GAV-Bestimmungen muss deshalb gepocht werden. Aus KMU-Sicht ist dieser Punkt schlichtweg nicht verhandelbar. Aus meiner Sicht sind Optimierungen bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen möglich. Dringend notwendig wäre dafür aber die Digitalisierung der Behördentätigkeit. Will man beispielsweise die Anmeldefrist für ausländische Unternehmen von acht auf vier Tage senken, so geht das nicht mit der Übermittlung per Faxgerät. Die Coronazahlen lassen grüssen. An unsere Verhandlungsdelegation habe ich eine klare Botschaft: Einfach nur die Probleme wegreden zu wollen, ist aus KMU-Sicht keine Lösung. Vielmehr sollten die bereits gemachten Erfahrungen ins Feld geführt werden. Es kann nicht im Interesse der EU sein, Schwarzarbeit, Dumpingpreise und eine Billiglohnkultur herbeizuführen. Unterstützung könnte es dabei aus Deutschland geben. Denn dort bereiten Billigarbeitskräfte aus Osteuropa den regional ansässigen Betrieben ebenfalls Probleme. Bereits vor Verhandlungsbeginn Ende März flackerten Befürchtungen und Ängste bei KMU-Vertretern auf. Als durchsickerte, dass der Bundesrat beim EU-Dossier zu kompromissbereit sprich zu willig sei, bestehende Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu diskutieren, kam die Kritik sofort – und deutlich. «Die EU will mit der Durchsetzungs- und Entsenderichtlinie die Kautionspflicht und die 8-Tage-Regel kippen», heisst es beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Er fordert die Beibehaltung der bestehenden Regeln: «Die Kaution, die 8-Tage-Voranmeldung, die Dienstleistungssperre und anderes sind Schweizer Lohnschutzmassnahmen, die in der EU nicht vorkommen. Sie wurden geschaffen, damit der sozialpartnerschaftliche, föderalistische Vollzug funktioniert.» Die Baselbieter Wirtschaftskammer (Wika) ihrerseits verlangt, dass es bei der Schwarzarbeitkontrolle zu keiner Verwässerung kommen dürfe. Die Folgen einer Aufweichung der bestehenden flankierenden Massnahmen wären für KMU frappant: Lohndumping durch ausländische Konkurrenz und Billigarbeitskräfte. «Dank flankierenden Massnahmen werden die Arbeitsbedingungen unserer Arbeitnehmer geschützt und Lohndumping verhindert», sagt etwa Nicole Ott von der Reinhard Ott AG in Arlesheim. «Diejenigen Firmen, die Aufträge erhalten, sollen auch korrekte Löhne bezahlen.» Strengere Massnahmen gefordert Seit Wochen ist die Anspannung bei den Berufsverbänden gross. «Als extrem störend empfinden wir die gesamte Spesenregelung, wie sie vom Bundesrat angepeilt wird», sagt Peter Meier, Zentralpräsident von AM Suisse und Geschäftsführer von Mevo Fenster in Reinach. «Wir fordern, dass das Prinzip Vorort-Regelung und nicht Herkunftsland-Regelung gilt. Konkret heisst das: Ausländische Unternehmen, die in der Schweiz Aufträge erhalten, müssen Hoher Erwartungsdruck an Verhandlungen: Die Schweiz als Exportnation braucht unbedingt einen Zugang zum EU-Binnenmarkt, muss aber gleichzeitig die heimischen KMU durch Massnahmen schützen können. Bild: Shutterstock BAUVORSCHRIFTEN – Auflagen, Gesetzesverschärfungen und Einsprachen blockieren dringend notwendige Investitionen im Bausektor. Die Folgen seien massiv, wie Stamm-CEO Oscar Elias im grossen Interview sagt. Investitionsflaute mit weitreichenden Folgen Im Interview spricht Oscar Elias klare Worte: «Wir sanieren in der Schweiz im Moment mit einer Rate von 1 Prozent, in Basel noch tiefer», sagt der CEO der Stamm Bau AG. «Bei einer Sanierungsrate von 1 Prozent dauert es 100 Jahre, bis wir alle Immobilien in der Schweiz saniert haben.» Das die hier gemäss GAV gültigen Spesenregelungen übernehmen.» Dieter Zwicky vom Schreinermeister verband Baselland erklärt in einem Beispiel, warum die Spesenregelung so wichtig ist: «Eine polnische Firma entsendet zehn Mitarbeitende für den Einbau von Türen und Küchen in einem Wohnungskomplex. Gemäss Schweizer GAV müsste sie pro Mitarbeiter und Tag inklusive Wochenenden 121 Franken als Essens- und Übernachtungsspesen bezahlen. Es ist nicht zu erwarten, dass die polnische Firma diese Summe nur annähernd auszahlt.» Wenn solche Entlöhnungsmodelle akzeptiert würden, werde in Kauf genommen, dass die polnischen Mitarbeiter sich unter unwürdigen Bedingungen verpflegen und übernachten, so Zwicky. Und der bislang politisch gewollte Lokalvorteil für den hiesigen Arbeitgeber würde entfallen. «Erst recht benachteiligt sind Schweizer Firmen, wenn der Einsatz gemäss von Bau- und Wohnschutzvorschriften sowie Einsprachen und endlos lange dauernde Bewilligungsprozesse zurück. Als Folge der Fehlentwicklung prognostiziert er, dass es zu einer deutlichen Abnahme von Aufträgen in der Baubranche und zu Arbeitsplatzverlusten kommt. Auch die Mieschleppende Tempo werde die Wohnungsnot im Land noch verschärfen und auch dazu führen, dass die Wirtschaft erlahmt und Fachkräfte die Region verlassen. Hauptursache für die Investitionsflaute ist der Investorenrückzug. Elias führt dies auf die massive Zunahme GAV als ‹Arbeit an auswärtigen Einsatzorten› taxiert ist», sagt Präsident Dieter Zwicky. Peter Meier kennt dieses Problem auch aus seiner Branche und fordert deshalb: «Nur mit der Einhaltung der in der Schweiz geltenden Spesenregeln können wir gleich lange Spiesse für alle Marktteilnehmer gewährleisten.» Digitalisierungsoffensive nötig Für die gesamte Schweizer Wirtschaft ist zudem wichtig, dass eine obligatorische Kautionspflicht im Rahmen der Durchsetzungs- und Entsenderichtlinie installiert wird; und es zu einer massiven Erhöhung der Verwaltungssanktionen kommt. «Im Schadensfall braucht es eine Zweitkaution», sagt Meier. «Denn gerade ausländische Montagefirmen wechseln ihre Namen rasch und sind dann im heutigen System nicht mehr fassbar, was die Sanktionen zahnlos macht.» Auch für Dieter Zwicky ist diese obligatorische Kautionspflicht ein absolutes Muss: «Wenn unsere Konkurrenz aus dem EU-Raum erst im Wiederholungsfall Kautionen hinterlegen muss, dann öffnet dies die Türe zum Missbrauch sperrangelweit. Denn ohne Pfand ist das Einhalten unserer Regeln zum Schutz von Arbeitgebern- und -nehmern viel weniger gesichert.» Auch stelle er es sich «sehr umständlich vor, rechtzeitig festzustellen, welche Firmen bereits Erstverstösse hatten», erklärt Zwicky. KMU-Vertreter sowie die Basel bieter Wika sehen in der Stärkung des GAV- Systems die wirksamste Massnahme für einen effektiven Lohnschutz. Deshalb sollte die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) erleichtert werden. Grund: In den AVE-Beschlüssen ist jeweils aufgeführt, für welches Gebiet, welche Branche und welche Arbeitnehmenden die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des GAV gelten. «Das AVE-Verfahren muss drastisch vereinfacht und die bürokratischen Hürden müssen abgebaut werden», sagt Christoph Buser, Direktor der Wirtschaftskammer Baselland. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel und den wachsenden Schwierigkeiten für die KMU, geeignetes Personal zu rekrutieren, müssen auch die «künstlichen Hürden bei der Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Branchenförderung aus GAV-Beiträgen» beseitigt werden. Eine grosse Bedeutung kommt einer «Digitalisierungsoffensive der Sozialpartner» zu, wie sie die Wika fordert. Ziel: Ausbau einer digitalisierten Meldeplattform für Entsendemeldungen, die dann direkt mit den Systemen im paritätischen Vollzug verbunden sind. Die Baselbieter KMU würden eine Aufweichung der Rahmenbedingungen strikt ablehnen, so Buser. Und er ergänzt: «Wir haben es schon erlebt, wie es ist ohne griffige flankierende Massnahmen, und dorthin wollen wir nicht mehr zurück.» Mischa Hauswirth terinnen und Mieter würden die Entwicklung spüren, so Elias. Denn Nebenkosten würden ansteigen, und die Mietenden müssten aufgrund der nicht sanierten Gebäude für einen hohen Energie- und Stromverbrauch bezahlen müssen. hws Seite 3
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