SCHWEIZERISCHE 2. Februar 2024 Die Zeitung für KMU | Regionalbund | Standpunkt-Ausgabe Nr. 572 | 27. Jahrgang AZA 4133 Pratteln Post CH AG DIE MEINUNG KMU sind die Leidtragenden RHEINSTRASSE – Die Sperrung dieser wichtigen Verbindungsstrasse bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die KMU-Betriebe. Jürgen Posch vom Freizeitcenter Sprisse ist dabei, einen Forderungsanspruch in der Höhe eines fünfstelligen Betrags vorzubereiten. Gegenüber dem Standpunkt erklärt er, warum. «Einige waren ziemlich sauer» Von Christoph Buser, Direktor Wirtschaftskammer Baselland Die Komplettschliessung der Rheinstrasse für den Verkehr hat die besten Voraussetzungen, um als Fehlentscheid des Jahres 2023 in die Geschichte einzugehen. Dass die vom Baselbieter Regierungsrat forcierte Sperrung ein Missgriff war, zeigte sich schon früh, und wir haben mehrfach darauf hingewiesen. Die Regierung hält bis heute an ihrer Position fest und verharrt in Untätigkeit. Trotz politischer Vorstösse und Dringlichkeitsappellen. Allmählich wird nun das Ausmass dieser für KMU geschäftsschädigenden Dimension deutlich: Vier Betriebe haben bereits Schadenersatzforderungen gestellt, ein Unternehmen wird es demnächst tun. Und es wäre wenig verwunderlich, wenn weitere folgen würden. Denn Unternehmerinnen und Unternehmer sind nicht mehr partout bereit, die finanziellen Folgen dieses Fehlentscheides zu tragen. Wer den KMU zuhört – und man gewinnt den Eindruck, dass das in der Politik zu wenige tun –, der spürt deutlich, wie drückend die Sorge wegen den vielen Baustellen ist, die der Kanton zu verantworten hat. Wie viele es genau sind, hat die Bau- und Umweltschutzdirektion bislang verschwiegen. Hier soll ein politischer Vorstoss Klarheit schaffen. Sorge bereiten den KMU vor allem die Baustellen, welche Umsatzeinbussen bei ihren Betrieben zur Folge haben könnten. Dass in Birsfelden eine Grossbaustelle in Planung ist, verunsichert die Gewerbetreibenden und lässt sie bereits jetzt bangen, nicht zu unrecht, wie die Erfahrung zeigt: Baustellen machen für Kundinnen und Kunden den Besuch eines Geschäftes unattraktiv, was zur Folge haben kann, dass sie nach einer Alternative Ausschau halten. Irritierend ist dabei auch, dass die Verursacherin, eben die Bau- und Umweltschutzdirektion, in keiner Weise die Konsequenzen zu tragen hat. Die betroffenen Geschäfte und Betriebe stehen mit Umsatz einbussen alleine da, und ihre Forderungen an einer Kostenbeteiligung haben so gut wie keine Chancen. Doch statt nachträglich Entschädigungen zu verteilen, wäre der Kanton besser beraten, die Anliegen der KMU im Vorfeld umzusetzen und alles zu tun, um existenzielle Probleme für die Gewerbetreibenden zu verhindern. Die Konferenz der Industrie- und Gewerbevereine im Baselbiet hat schon vor fast zehn Jahren gefordert, die KMU konsequent und rechtzeitig in die Planung miteinzubeziehen und den Bau möglichst rasch und effizient zu realisieren. Ein Bonus-Malus-System für die Baufirmen kann ein zusätzlicher Ansporn sein. Standpunkt: Herr Posch, Sie betreiben das Sprisse Freizeitcenter in Pratteln und werden beim Kanton eine Schadensersatzforderung einreichen. Warum? Jürgen Posch: Die Sperrung der Rheinstrasse hat unseren Betrieb wirtschaftlich deutlich getroffen. Wir wurden von einem Tag auf den anderen vor vollendete Tatsachen gestellt. Ab dem 9. Dezember 2022 war die bekannte und direkte Anfahrt zu uns geschlossen. Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen. Waren Sie gar nicht mehr erreichbar? Doch, das schon. Aber die Umleitung war kompliziert und überhaupt nicht ausgeschildert, sodass wir nach ein paar Wochen selber Schilder drucken liessen und aufhängten. Diese nahm die Verkehrspolizei dann wieder ab, weil keine Bewilligung für die Anbringung vorlag und weil deren Meinung nach die Umleitung genügend ausgeschildert war. Wie reagierten die Kundinnen und Kunden auf die Schliessung? Weil die Gäste besonders am Anfang nicht wussten, wie sie uns erreichen konnten und sich verfuhren, riefen uns viele an. Wir bekamen bis zu 60 Anrufe pro Tag. Zum Problem wurden auch die Events wie die Firmenanlässe, die bei uns stattfinden. Die Organisation erfolgt oft lange im Voraus, und wir konnten die Organisatoren nicht rechtzeitig vorinformieren. Hier hatten wir Reklamationen. Einige waren ziemlich sauer, als sie uns wegen der neuen umständlichen Anfahrt kontaktierten. Sauer auf Sie? Nein, das weniger, sondern auf die Behörden. Es fielen Kommentare wie «unnötig» oder gar «idiotisch». Sie machen finanzielle Beeinträchtigung aufgrund der Strassen sperrung durch die Behörden geltend. In welcher Höhe? Jürgen Posch vom Freizeitcenter Sprisse geht von einem hohen fünfstelligen Betrag aus, der seinem Unternehmen wegen der Schliessung der Rheinstrasse entgangen ist. Bild: Wika Wir sind noch am Zusammentragen des Zahlenmaterials, dazu gehören auch die Umsatzzahlen vom Dezember 2023 und Januar 2024, wir gehen aber von einem hohen fünfstelligen Betrag aus. Darf ich dazu noch etwas sagen? Natürlich. Der Vergleich mit den unmittelbaren Vorjahreszahlen, wie das von der Bau- und Umweltschutzdirektion verlangt wird, hinkt. Wir sollten die Jahre 2016 bis 2019 und auch jene vom Dezember 2023 und Januar 2024 heranziehen. Warum? Weil wir in den Jahren 2020 bis 2022 die Auswirkungen der Corona-Massnahmen zu verkraften hatten. Deswegen sind die Umsatzzahlen wie erwähnt heranzuziehen, und wir werden das auch entsprechend aufbereiten. Sie werfen den Behörden auch vor, die Strassenschliessung ungenügend geplant zu haben und dadurch die Umstände, die ohnehin schon sehr belastend sind, noch weiter verschärft zu haben. Was meinen Sie damit? Es gab ja im Vorfeld der Schliessung eine Sitzung mit dem Baselbieter Regierungsrat und KMU-Vertretern. Ich war ebenfalls dabei. Wir haben dort zum Ausdruck gebracht, dass es schwierig sein wird fürs Gewerbe und dass es keine Schliessung fünf Jahre vor dem eigentlichen Baubeginn von Wohnungen braucht. Auch die neue Verkehrssituation war da Thema. Dabei kam heraus, dass bei der gesamten angeblichen Detailplanung der Behörden vergessen ging, die Umleitung bei Google Maps zu melden. Kann man sich das vorstellen, in einer Welt, in der alle nach Google Maps navigieren? Dieses Versäumnis haben wir, wie erwähnt, deutlich zu spüren bekommen, weil so viele sich bei der Anfahrt verfuhren. Ein weiteres Problem war die mangelnde Kommunikation. Welcher ist Ihr grösster Vorwurf an die Adresse des Kantons? Für mich ist der regierungsrätliche Entscheid, die Strasse wenigstens nicht temporär zu öffnen, eindeutig ein Kniefall vor dem Gemeindepräsident von Augst. Dieser äusserte sich ja sinngemäss so, dass – wenn diese Sperrung nicht komme und damit die Strasse beruhigt werde – ihm wichtige Investoren für die Überbauung abspringen würden. Das war offensichtlich wichtiger als wir KMU, die am Ende die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses politisch motivierten Entscheides tragen müssen. Interview: Mischa Hauswirth Seite 2 «METZGERHUUS» – In Füllinsdorf entsteht ein neues Gebäude für Schlachtungen und Fleischverarbeitung. Hinter der Idee steckt der Arlesheimer Metzger Christoph Jenzer. Er will mehr für das Tierwohl tun. Metzger bauen Gebäude für die Zukunft HEUTE IM STANDPUNKT 6 | BERUFSBILDUNG Der KMU Lehrbetriebsverbund (LBV) lanciert «LBV Life» und «LBV Genius». Weite Transportwege mit viel Stress für die Tiere sowie Massenschlachtungen soll es im Baselbiet künftig nicht mehr geben. «Wir wollen, dass der Bauer sein Vieh wieder selbst zum Schlachthaus bringt, entweder mit dem Traktor oder auch zu Fuss», sagt Chris- toph Jenzer, der als Kopf einer Gruppe von regionalen Metzgern dieses Projekt «Metzgerhuus – Stadt und Land» ins Leben gerufen hat. In Füllinsdorf soll bezüglich Fleischproduktion künftig das Motto gelten: «Im Baselbiet geboren, gestorben und gegessen.» Das «Metzger huus» stehe deshalb vor allem auch für einen bewussten Konsum, sagt Jenzer. Unlängst war der Spatenstich zu diesem 11-Millionen-Franken-Bau, der nicht nur im Bereich des Tierwohls, sondern auch in Sachen Umwelt neue Massstäbe setzen will. So sind die gesamte Gebäudehülle sowie das Dach mit Solarzellen geplant. Nicht nur der Energiebedarf für den Betrieb soll damit ganz gedeckt werden, sondern es soll auch Strom an umliegende Häuser verkauft werden. Mischa Hauswirth Seite 4
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