Aufrufe
vor 1 Jahr

Standpunkt 543, 1. Juli 2022

  • Text
  • Wirtschaftskammer
  • Wirtschaft
  • Schneider
  • Baselland
  • Haus
  • Andreas
  • Mayer
  • Juli
  • Unternehmen
  • Standpunkt
  • Www.kmu.org

6 |

6 | Standpunkt der Wirtschaft INSERAT 1. Juli 2022

1. Juli 2022 BERUFSBILDUNG Standpunkt der Wirtschaft | 7 PAROLEN Wirtschaftsrat sagt einmal Nein und dreimal Ja Zum letzten Mal durfte Andreas Schneider am Donnerstag vor einer Woche die rund 20 anwesenden Mitglieder des Wirtschaftsrats Basel land zur Sitzung begrüssen. Denn der Präsident der Wirtschaftskammer übergibt heute nach 24 Jahren an der Spitze das Zepter an seinen Nachfolger Roman Mayer (siehe Seiten 2, 3). Schneider blickte auf die Delegiertenversammlung im April zurück, die für ihn «eine schöne Überraschung» und eine «emotionale Angelegenheit» gewesen sei. Die Ernennung zum Ehrenpräsidenten habe ihn gefreut. Das wichtigste Traktandum im Wirtschaftsrat war die Parolenfassung für die Abstimmungen vom kommenden 25. September. Die Baselbieter Stimmberechtigten werden über vier eidgenössische Vorlagen befinden, kantonale gibt es keine. Strenge Tierschutzgesetzgebung Die Massentierhaltungsinitiative will die Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung schützen und Massentierhaltung verbieten. Der Bund soll Kriterien für die Unterbringung, den Auslauf, die Anzahl gehaltener Tiere und die Schlachtung festlegen. Der Wirtschaftsrat fasste mit grossem Mehr bei einer Enthaltung die Nein-Parole. Das Anliegen der Initianten sei heute bereits ausreichend durch den Gesetzgeber geregelt. Tatsächlich wartet die Schweiz mit einer der strengsten Tierschutzgesetzgebungen sowie mit der weltweit wohl einzigartigen Höchstbestandesverordnung auf. Zwei Vorlagen zur AHV-Reform 21 Gleich zwei Vorlagen, die miteinander verknüpft sind, befassen sich mit der AHV-Reform 21. Einerseits sieht die Anpassung des AHV- Gesetzes in erster Linie vor, das Rentenalter für Frauen von 64 auf 65 Jahre zu erhöhen und den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu flexibilisieren. Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV andererseits sieht eine Erhöhung der Mehrwertsteuersätze vor. Wird eine der beiden Vorlagen an der Urne abgelehnt, scheitert die ganze Reform. Ebenfalls mit grossem Mehr bei einer Enthaltung fasste der Wirtschaftsrat zweimal die Ja- Parole und folgte somit dem Schweizerischen Gewerbe verband sgv. Für den sgv ist diese Reform «ein erster, unerlässlicher Schritt zu mehr Rentensicherheit ohne Rentenkürzungen». Schweiz benachteiligt Die Reform der Verrechnungssteuer soll den Fremdkapitalmarkt stärken und Hindernisse bei der Konzernfinanzierung beseitigen. Dazu soll die Verrechnungssteuer auf Zinsen grössten teils abgeschafft und die Umsatzabgabe auf inländische Obligationen aufgehoben werden. Der Bundesrat rechnet mit einmaligen Mindereinnahmen von einer Milliarde Franken. Dazu kommen jährliche Mindereinnahmen von knapp 200 Millionen Franken. Langfristig sollte sich die Reform durch die neuen Finanzgeschäfte selbst finanzieren. Einstimmig fasste der Rat die Ja-Parole. Die Verrechnungssteuer von 35 Prozent auf Zinsen benachteilige die Schweiz und vertreibe Geschäfte und damit Steuereinnahmen ins Ausland. Loris Vernarelli PAROLEN DES WIRTSCHAFTSRATS Urnengang vom 25. September 2022 Eidgenössische Abstimmungen – Massentierhaltungsinitiative Nein – Zusatzfinanzierung AHV Ja – Änderung AHV-Gesetz Ja – Reform Verrechnungssteuergesetz Ja KMU-NACHRICHTEN Christmann wird CEO Der Verwaltungsrat von Primeo Energie hat Cédric Christmann, den heutigen Geschäftsführer der Primeo Energie AG, zum neuen CEO der Primeo Energie-Gruppe gewählt. Er wird an der Delegiertenversammlung vom 19. April 2023 als Nachfolger von Dr. Conrad Ammann die Verantwortung übernehmen. Ammann wird auf dieses Datum die operative Führung abgeben und als Senior Advisor mit reduziertem Pensum weiterhin ausgewählte Mandate für Primeo Energie betreuen. pd. ABSCHLUSSFEIERN – Seit heute ist Thomas von Felten interimistischer Leiter der Hauptabteilung Berufsbildung des Kantons Basel-Landschaft. Im Interview mit dem Standpunkt der Wirtschaft nimmt er Stellung zu den Qualifikationsverfahren. «Die Attraktivität aufzeigen» Standpunkt: Herr von Felten, in dieser Woche fanden im Baselbiet die Abschlussfeiern für die Lernenden statt. Können Sie ein erstes Fazit ziehen? Thomas von Felten: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Gesamthaft fanden zehn grössere und kleinere Abschlussfeiern der fünf Berufsfachschulen im Kanton statt - das sind das Berufsbildungszentrum Baselland – BBZ BL –, die Berufsfachschule Gesundheit, die Schulen kv Baselland, aprentas und das Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft. Alle Anlässe fanden in einem würdigen und feierlichen Rahmen statt. Zu erwähnen ist die erstmals in der St. Jakobs halle organisierte Feier des BBZ BL: dank dem neuen Ort konnten die ehemals getrennten Feiern der beiden Standorte Liestal und Muttenz zusammen durchgeführt werden. Welche Herausforderungen stellten sich nach zwei Corona- Jahren den Lernenden, die jetzt ihr Qualifikationsverfahren abschlossen? Die Qualifikationsverfahren konnten in diesem Jahr endlich wieder regulär stattfinden. Es gab keine kurzfristigen Änderungen und Anpassungen mehr. Da die meisten Lernenden das Qualifikationsverfahren nur einmal absolvieren, gab es für die Jugendlichen keine speziellen Herausforderungen zu meistern. Ob die durch Corona bedingten Erschwernisse während der Berufslehre eine Auswirkung auf die Erfolgsquoten in den verschiedenen Branchen hatten, kann erst nach einer genauen Analyse festgestellt werden. FALSCHES BILD – Während bei der Berufslehre von der Lehrabbruchsquote die Rede ist, stehen bei der universitären Ausbildung die Erfolgsquoten im Zentrum. Bei den Jugendlichen entsteht so ein verzerrtes Bild. Wirtschaft fordert ausgeglichene Bildungsstatistik Das Bundesamt für Statistik veröffentlicht regelmässig die «Lehrabbruchsquote», die bei rund 20 Prozent liegt. «Jeder fünfte Lehrling bricht die Lehre ab», mag sich so manche Schülerin und mancher Schüler sagen und entscheidet sich lieber fürs Gymnasium. Dabei fällt die statistische Datenlage zu den Abbrüchen und Durchfallquoten auf Hochschulebene eher dünn aus. Studienabbruchsquoten sucht man vergebens. Abbrüche werden hinter Studienerfolgsquoten und Abschlussquoten versteckt und nur indirekt kommuniziert. Berufslehre toppt beide Quoten Thomas von Felten, interimistischer Leiter der Hauptabteilung Berufs bildung des Kantons Basel-Landschaft. Bild: zVg Wie viele junge Leute konnten in die Berufswelt «entlassen» werden, und haben sich die Zahlen gegenüber den Vorjahren verändert? Es liegen noch keine exakten Auswertungen vor. Laut der kantonalen Prüfungsexpertin Johanna Wäckerli bewegen sich die Zahlen im üblichen Bereich von zirka 2100 Prüfungskandidatinnen und -kandidaten. Bei einer angenommenen Quote von zirka 8 Prozent nicht bestandener Qualifikationsverfahren werden gegen 2000 Berufs leute ihr Fähigkeitszeugnis oder Berufsattest erhalten. Auch die Berufsbildung ist den starken Transformationsprozessen in der Wirtschaft (Digitalisierung, Energiewende, Fachkräftemangel usw.) ausgesetzt. Hat sich dies in einer Form jetzt schon auf die Abschlussprüfungen und die Berufsfelder ausgewirkt? Auf die Abschlussprüfungen wirken sich die Megatrends weniger aus, eher auf die Rekrutierung von Ler­ Die Berufslehre hat die höchste Erfolgsquote, was aber selten kommuniziert wird. Der Tertiärbereich rührt die Werbetrommel mit «Bachelorerfolgsquoten» von 76 Prozent und «Masterabschlussquoten» von 60 Prozent. Die Erfolgsquote der Berufslehre toppt beide Quoten, sie liegt nämlich bei 80 Prozent. Aber das steht so nirgends. Seit 2006 ist in der Bundesverfassung die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung verankert. Dieses Ziel ist bei Weitem noch nicht erreicht. Der Berufsbildung gehen aber zusehends die guten Schüler verloren. Grund ist auch die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Die Berufsbildung stellt in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals nur eine Option für schulisch schwache Schülerinnen und Schüler dar. Auch an den Schulen wird eine Berufslehre nicht selten nur als «second best» vermittelt, während der Goldstandard ein Studium auf der Tertiärstufe darstellt. Vor diesem Hintergrund ist auch die gut gemeinte Kampagne «lerne/werde» von BerufsbildungPlus heikel, da sie unterschwellig vermittelt, dass jeder Bildungsweg auf der Tertiärstufe enden muss, um als erfolgreich zu gelten. So wundert es nicht, dass der Anteil der Personen mit einem Tertiärabschluss von derzeit 44 Prozent gemäss Prognose bis ins Jahr 2040 nenden. Digitalisierung und Energiewende wirken sich vor allem auf die Anpassungen von Bildungsverordnungen und die Schaffung von neuen Berufen aus. Die Digitalisierung durchdringt alle Ebenen der Gesellschaft: Arbeit, Familie, Öffentlichkeit, Handel und auch die Berufsbildung. «DIE BERUFSBILDUNG IST IM BASELBIET BESTENS AUFGESTELLT.» Die Entwicklungen in den einzelnen Berufsfeldern sind in diesem Bereich enorm. So können die Anpassungen von Bildungsverordnungen oft mit den kontinuierlichen und schnellen Entwicklungen in einem Beruf nicht Schritt halten. Viele erfolgreiche Lernende freuen sich auf die Zukunft, einige aber auf 55 Prozent ansteigen wird, während die Wirtschaft immer grössere Schwierigkeiten hat, Lehrstellen zu besetzen und den Bedarf an Fachkräften zu decken. Ende 20 und ohne Abschluss haben es nicht geschafft. Wie geht der Weg für diese jungen Menschen weiter? Gemäss eidgenössischem Berufsbildungsgesetz können die Qualifikationsverfahren zweimal wiederholt werden. Dabei müssen alle ungenügenden Qualifikationsbereiche nochmals abgelegt werden. Man kann aber auch das ganze Qualifikationsverfahren wiederholen. Dies ist mit oder ohne Lehrvertrag möglich. Viele Betriebe ermöglichen den Jugendlichen diese Repetition im Lehrbetrieb. Nicht selten rücken aber auch andere Interessen in den Vordergrund. So gibt es Jugendliche, die in die Rekrutenschule gehen, einen Sprachaufenthalt absolvieren oder erst einmal «jobben» wollen. Nach dem QV ist vor dem neuen Lernbeginn – wie sieht die nahe Zukunft in der Baselbieter Berufsbildung aus? Die Berufsbildung ist im Baselbiet bestens aufgestellt und hat auch in der Bildungsverwaltung einen hohen Stellenwert. Wichtig wird in der nahen Zukunft sein, dass die Attraktivität der dualen Bildung in der Öffentlichkeit aufgezeigt wird, ohne dass ein Kampf zwischen der Berufsbildung und den allgemeinbildenden Schulen entsteht. Es muss den Branchen- und Wirtschaftsverbänden in Zusammenarbeit mit dem Kanton gelingen, den Eltern und Lehrpersonen der Sekundarschulen die Berufsbildung näherzubringen, aufzuzeigen, dass in unserem durchlässigen Bildungssystem Karrieren, die mit einer Berufslehre beginnen, mindestens so erfolgreich sind wie akademische Karrieren.Interview: Daniel Schaub Grafik/Quelle: mw/bfs Ein Grund dafür ist auch eine unausgewogene Bildungsstatistik, die Berufslehren im Vergleich zum Hochschulstudium als statistisch problematisch darstellt. Aus Sicht der Wirtschaft braucht es eine ausgeglichene Bildungsstatistik. Auch aus ethischer Sicht dürfen Jugendliche nicht auf einen akademischen Bildungsweg gelockt werden, ohne sie über die Gefahren und Risiken ehrlich zu informieren. Sie müssen wissen, dass nach dem Weg an die Hochschulen der Studienfachwechsel, der Unterbruch, das Prüfungsversagen und schliesslich der Abbruch stehen können. Und sie müssen wissen, welche psychischen Folgen es haben kann, wenn ein junger Mensch Ende 20 nach einem gescheiterten Studium ohne Abschluss dasteht. Nationalrätin Sandra Sollberger (SVP) hat zu diesem Thema eine Interpellation an den Bundesrat gerichtet und fordert darin eine ausgeglichene Bildungsstatistik. Über das Ergebnis des Vorstosses wird der Standpunkt der Wirtschaft weiter berichten. Dr. Monika Wilhelm

Standpunkt der Wirtschaft