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Standpunkt 536, 4. März 2022

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2 | Standpunkt der Wirtschaft VERKEHRSPOLITIK 4. März 2022 PARKPLÄTZE – Die Stadt Liestal beabsichtigt, ab 1. Mai 2022 die Gratisparkierstunde im «Stedtli» aufzuheben und die maximale Parkzeit zu begrenzen. Das Gewerbe ist in Aufruhr, denn es befürchtet Umsatzeinbussen. «Stadtrat soll über die Bücher» Das Liestaler Gewerbe ist wahrlich nicht zu beneiden. Kaum sind die wirtschaftlich einschneidenden Corona-Massnahmen aufgehoben, sehen sich die Händlerinnen und Händler des Kantonshauptorts einer neuen Bedrohung gegenüber. Diesmal ist es der eigene Stadtrat, der ihnen schlaflose Nächte bereitet. Was ist geschehen? Der Stein des Anstosses ist eine Medienmitteilung vom vergangenen 16. Februar. Darin kündet der Stadtrat an, ab 1. Mai die Gratisparkierstunde abzuschaffen und die Parkdauer neu auf eine Stunde zu begrenzen. Die knapp 100 Parkplätze rund um die Altstadt würden öfter auch durch Langzeitparkierende und von Angestellten der Gewerbetreibenden belegt, dadurch stünden diese Parkplätze einem grossen Teil der Kundschaft der Geschäfte nur eingeschränkt zur Verfügung, heisst es im Communiqué. Besucherinnen und Besucher, die länger im «Stedtli» verweilen, sollten in Zukunft in die öffentlichen Parkhäuser gelenkt werden. Der Aufruhr ist riesig Der Aufruhr bei Detaillisten, Gastronomen und Dienstleistungsbetrieben ist seitdem riesig. Nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass Liestal für die Parkplätze, die bisher eine Stunde lang kostenlos benutzt werden konnten, künftig vier Franken verlangen wird. Als erste Reaktion haben die Gewerbetreibenden Fabrice Bütler, Martin Spiess und Marcel Haldi eine Petition mit klaren Forderungen an den Stadtrat lanciert. Unter anderem soll er die Gratisparkierstunde beibehalten und für moderate Tarife für Langzeitparkierer in den Parkhäusern Bücheli und Tertianum sorgen. Druck auf Stadtrat erhöhen Unterstützt wird die Petition, die bereits von über 1000 Personen Am Liestaler Fischmarkt darf das Auto ab kommendem 1. Mai höchstens eine Stunde parkiert werden – und erst noch kostenpflichtig. Bild: Google Maps unter-schrieben worden ist, vom Gewerbeverein KMU Liestal. «Die Aktion soll den Druck auf den Stadtrat erhöhen», betont ein sichtlich besorgter Präsident Matthias Renevey. «Wir wollen mit ihm an einen Tisch sitzen und alternative Lösungen besprechen.» Es könne doch nicht sein, dass auf dem Buckel der Detaillisten marode Finanzen etwas aufgebessert würden. Es gebe noch viele andere Möglichkeiten, um Geld zu sparen. Renevey wird noch deutlicher: Mit den neuen Parktarifen schiesse der Stadtrat gegen das durch die Pandemie stark gebeutelte Gewerbe. Anstelle nun mit Fördermassnahmen die Wirtschaft wieder anzukurbeln, werde mit nicht nachvollziehbaren Massnahmen der Finanzhaushalt aufgebessert. Dadurch erleide der Detailhandel in Liestal einen weiteren, kaum zu verkraftenden Nackenschlag. «Die Botschaft, die bei uns ankommt, ist klar: Es interessiert uns nicht, wie es euch geht, nur unsere Finanzen stehen im Fokus», kritisiert der Präsident des lokalen Gewerbevereins die Stadtregierung scharf. Dynamische Parktarife Auf die Frage, welche die in der Petition angedeuteten alternativen Lösungen sein könnten, wartet Matthias Renevey mit einem konkreten Vorschlag auf: Die Behörden könnten Barrieren einsetzen und die Parktarife dynamisch gestalten, um so die Dauerparkierer von den Parkplätzen in der Innenstadt fernzuhalten. Vor allem aber hätte die Stadt Liestal die Änderung der Parkierungsdoktrin hinausschieben können, bis sich das Gewerbe von den Folgen der Pandemie erholt habe. Gar nichts hält Renevey übrigens vom Vorhaben des Stadtrats, die Konsumentinnen und Konsumenten in die Parkhäuser zu lenken: Da letztere alle in privater Hand seien, würden die Einnahmen der öffentlichen Parkplätze unter dem Strich abnehmen. «Das ganze Konzept scheint nicht durchdacht zu sein.» Obwohl viel gegen das neue Parkregime spricht, macht sich der oberste Liestaler Gewerbler nicht allzu grosse Hoffnungen auf eine Bewahrung des Status quo. Da es sich um eine Verordnung handle, sei die Meinung des Gewerbes erst gar nicht eingeholt worden, erklärt er. Und doch: «Am Ende bleibt vor allem die Hoffnung, dass der Stadtrat noch einmal über die Bücher geht und alle Möglichkeiten in Erwägung zieht.» Ob die Einführung wirklich verhindert werden kann, wird sich in den kommenden Wochen abzeichnen. Matthias Renevey jedenfalls will nicht resignieren: «Wir sind optimistisch und bleiben kämpferisch!» Loris Vernarelli HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT – Der Baselbieter Regierungsrat hat einigen Gemeinden die Einführung von Tempo-30-Zonen auf bestimmten Hauptstrassen bewilligt. In Basel-Stadt wird das Thema ebenfalls diskutiert. Basel-Stadt prüft Tempo 30 auf allen Kantonsstrassen INTERPELLATION Regierung: Endlich verbindliche Aussagen Seit Jahren fordern Wirtschaft und Politik vom Kanton Basel-Landschaft eine Verkehrspolitik, die diesen Namen auch verdient. Die Konferenz der Gewerbe- und Industrievereine (KGIV) hat 2019 mit der Mobilitätskampagne dieser Forderung Nachdruck gegeben. Das zentrale Element der Ende 2021 ausgelaufenen Kampagne ist ein Forderungskatalog, der fünf Punkte umfasst. Unter anderem soll die Regierung Parkplätze sicherstellen und den Verkehrsfluss wahren. Über zwei Jahre liess sich Baudirektor Isaac Reber Zeit, um auf die Forderungen der KGIV zu reagieren. Schliesslich nahm er in einem Interview im Standpunkt vom 1. Oktober 2021 Stellung. Doch die Antworten Rebers vermochten die KGIV nicht zu überzeugen. Deshalb reichte Mitte-Landrat Marc Scherrer, seines Zeichens Präsident des Gewerbe vereins KMU Laufental, eine Interpellation ein. Ob der Regierungsrat bereit sei, sich konkret zu den fünf Forderungen des KGIV zu äussern, wollte er wissen. Und wann er endlich einen detaillierten Masterplan im Bereich der Verkehrspolitik präsentieren würde. Regierung nimmt Forderungen ernst In ihrer Interpellationsantwort weist die Regierung darauf hin, dass die Forderungen der KGIV ernst genommen würden. Sie könnten aber nicht immer und bei jeder Strassen baustelle zu 100 Prozent erfüllt werden. Dies unter anderem deshalb, weil sich die Forderungen von betroffenen Anwohnenden, Gewerbetreibenden, Verkehrsteilnehmenden oft widersprächen. Nachdem die Exekutive betont hat, dass die schriftliche Beantwortung der Interviewfragen als offizielle Antwort an die KGIV zu verstehen sei, gibt sie bekannt, dass 2022 federführend durch die Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) eine Mobilitätsstrategie Baselland erarbeitet wird. «Ob dann ein Master plan ‹Verkehrspolitik› auf dieser Grundlage erstellt werden soll oder die kantonale Verkehrspolitik besser im kantonalen Richtplan im Rahmen der Objektblätter und Richtplankarte dargestellt wird, wird im Rahmen der Erarbeitung der Mobilitätsstrategie und dem diesbezüglichen weiteren Vorgehen zu klären und festzulegen sein», schreibt die Regierung. Zwei Jahre Wartezeit sind nicht akzeptabel Die Antworten des BUD im Interview seien wichtig gewesen, könnten aber nicht als offizielle Antwort gewertet werden, nimmt Marc Scherrer gegenüber dem Standpunkt zur Interpellationsantwort Stellung. Und sowieso sei eine Reaktionszeit von zwei Jahren nicht akzeptabel. Laut dem Landrat sind die von der Regierung nun endlich verbindlichen Aussagen aber am wichtigsten. Zum einen, dass sie nun bereit ist, sich mit der KGIV an einen Tisch zu setzen und die Punkte im Detail zu besprechen, zum anderen, dass sie die bisherige Mobilitätsstrategie grundlegend überarbeiten will. Bei letzterem Vorhaben wünscht sich Scherrer von der Regierung, dass «die KGIV bei der Ausarbeitung integriert wird und man einen Masterplan ‹Verkehrspolitik› skizziert und nicht nur den kantonalen Richtplan verfasst». Loris Vernarelli Nachdem der Baselbieter Regierungsrat im Januar die Anträge der Gemeinden Bottmingen, Oberwil, Therwil und Maisprach zur Einführung von Tempo-30-Zonen auf bestimmten Hauptstrassen bewilligt hat, will nun auch der Kanton Basel- Stadt die Einführung von Tempo 30 auf Kantonsstrassen prüfen. Für das ganze Kantonsgebiet Dies jedoch nicht für einzelne Abschnitte, sondern gleich fürs gesamte Kantonsgebiet. Egal, ob es sich dabei um eine Hauptverkehrsachse oder um eine wenig befahrene Seiten strasse handelt: Geht es nach dem Willen des Stadt-Basler Parlaments, sollen bald alle Verkehrs wege nur noch mit einer Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h befahren werden dürfen. Der Grosse Rat hat am vergangenen 16. Februar mit 50:44 Stimmen eine entsprechende Motion knapp überwiesen. Zuvor waren im Parlament wichtige verkehrspolitische Gründe genannt worden, warum ein flächendeckendes Tempo 30 nur sehr begrenzt nützlich wäre und sogar Tempo 30: In ruhigen Wohnquartieren sinnvoll, auf Hauptstrassen und viel befahrenen Verkehrsachsen nicht. Bild: ph lebensbedrohliche Konsequenzen haben könnte. Insbesondere die Blaulichtorganisationen hätten mit diesen drastischen Einschränkungen Mühe, aber auch der öffentliche Verkehr würde ausgebremst. Auch technische Argumente wie höherer Benzinverbrauch, höherer Schadstoffausstoss und höhere Lärmemissionen durch Brems- und Be schleunigungsgeräusche der Fahrzeuge stiessen bei den Befürworterinnen und Befürwortern buchstäblich auf taube Ohren. Keine Kanalisierung mehr Das Amt für Mobilität Basel-Stadt hält zu Tempo 30 offiziell fest, dass diese 30er-Zonen und -Abschnitte mithelfen, «den Durchgangsverkehr von den Wohnquartieren fernzuhalten und auf den Hauptverkehrsachsen zu kanalisieren». Wenn sich die ganze Stadt in eine Tempo-30-Zone verwandelt, kann jedoch keine Kanalisierung mehr stattfinden, und die Quartierstrassen werden wieder gerne befahren. Das kann kaum im Sinne der Bevölkerung sein. Ob sich dieses Regime, allen logischen Gründen zum Trotz, auf städtischem Gebiet bewährt, ist alles andere als sicher. Gerade der Verkehr lässt sich in der Realität meist nicht durch Wunschdenken steuern. Weitere Gemeinden im Baselbiet Im Baselbiet warten weitere Gemeinden wie Birsfelden, Binningen, Oltingen, Münchenstein und Liestal auf die Bewilligung zur Einführung von Tempo 30 für bestimmte Streckenabschnitte. Ob das neue Allheilmittel aber nicht doch mehr Probleme als Lösungen schafft, und ob es vom Volk überhaupt gewünscht ist, wird sich bald zeigen. Birgit Kron SOCIAL-MEDIA-POST DER WOCHE

4. März 2022 INTERVIEW Standpunkt der Wirtschaft | 3 REGIERUNGSRAT ANTON LAUBER – Nach fast zwei Jahren sind die meisten Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nun Geschichte. Regierungsrat und Finanzdirektor Anton Lauber spricht im Interview mit dem Standpunkt der Wirtschaft über pragmatische Wege, die finanzielle Bewältigung und die Zukunftsperspektiven. «Wir waren zwei lange Jahre virusgesteuert» Standpunkt: Herr Lauber, als der Bundesrat am 17. Februar die nahezu vollständige Aufhebung aller Corona-Massnahmen kommunizierte, was ging Ihnen da als Erstes durch den Kopf? Anton Lauber: Endlich wieder Fasnacht! Endlich wieder ein Chienbäse! Ich bin mir sicher, dass es vielen Basel bieterinnen und Baselbietern gleich geht. Die Aufhebung fast aller Massnahmen bedeutet auch grünes Licht für das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 (Esaf) Ende August in Pratteln, das grosse Highlight des diesjährigen Baselbieter Sommers. Es tut sich wieder etwas im Baselbiet. «ALS FINANZDIREKTOR BIN ICH FROH, DASS WIR MIT UNSEREN MASSNAHMEN DIE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG NICHT ABGEWÜRGT HABEN.» Fast zwei Jahre Pandemie – was hat Sie persönlich in dieser Zeit am stärksten herausgefordert? Für mich waren es zwei Jahre mit unterschiedlicher Belastung. In der Anfangsphase war das Jahr von März 2020 bis in den Frühling 2021 mit grösseren Herausforderungen verbunden. Die Regierung musste in Rekordtempo zusammen mit dem Bund die Bevölkerung vor der Pandemie schützen und gleichzeitig die wirtschaftlichen Folgen so tief wie möglich halten. Parallel dazu galt es für Verwaltung und Schulen, den Service Public trotz Lockdown aufrecht zu erhalten. Und nicht zu vergessen: Wir alle mussten uns auf eine doch empfindliche Beschränkung unserer politischen und persönlichen Freiheiten einstellen. Ab Sommer 2021, mit der Impfung und den ersten Medikamenten gegen Corona, dominierte bei mir dann bald der gewohnte Optimismus auf ein baldiges Ende der Pandemie und damit aller Massnahmen. Die Baselbieter Regierung hat über die ganze Zeit der Pandemiebekämpfung eine pragmatische Haltung an den Tag gelegt. Wie froh sind Sie darum rückwirkend? Die Baselbieter Regierung «regiert» nicht um ihrer selbst willen. Unser Ziel war es, situationsgerecht, mit Augenmass und ohne Aufregung, dafür aber umso entschlossener zu handeln. Es galt, gesundheitlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen gleichermassen gerecht zu werden. Ich denke, das ist der Baselbieter Regierung auf allen Ebenen ganz gut gelungen. Als Finanzdirektor bin ich zudem froh, dass wir mit unseren Massnahmen die wirtschaftliche Entwicklung nicht abgewürgt haben: Die Arbeitslosenzahlen, die Sozialhilfequote und die Anzahl der Konkurse konnten trotz Corona stabil gehalten werden. Entsprechend früh verlangte die Baselbieter Regierung vom Bundesrat die Entwicklung einer Ausstiegsstrategie und die rasche Rückkehr zur «neuen» Normalität. Wir alle haben auf allen Ebenen viel gelernt. Jetzt gilt es, das Gelernte nicht zu vergessen. Wie empfanden Sie generell den Austausch mit dem Bund und mit anderen Kantonen? Regierungsrat Anton Lauber freut sich auf gesellschaftliche Anlässe und persönliche Begegnungen. Schlicht gut. Wir sollten nicht immer das Haar in der Suppe suchen. Das ist ohnehin einfach. Unser Föderalismus ist und bleibt stark. Wahrscheinlich ist die Schweiz gerade deswegen mit ihren Massnahmen nicht so weit gegangen wie das benachbarte Ausland. Es brauchte in der Tat das Voranschreiten des Bundesrats, aber es brauchte auch die unterschiedlichen Standpunkte der Kantone und des Baselbiets. Wir leben in einem soliden Rechtsstaat, auch während einer Krise. Also sollten wir auch in der Krise unsere demokratischen Mitwirkungsprozesse nicht vernachlässigen. Als Finanzdirektor waren Sie – selbstredend neben der gesundheitlichen Bewältigung der Pandemie – besonders gefordert. Im Baselbiet wurden Unterstützung und Hilfe immer sehr rasch und möglichst unbürokratisch organisiert. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Sehr positiv. Das Baselbiet hat, basierend auf einer klaren und verbindlichen Strategie, subsidiär und ergänzend zum Bund äusserst schnell und unbürokratisch wirkungsvolle Wirtschaftshilfe geleistet. Besonders erfreulich war, dass sich die Baselbieter Wirtschaft insgesamt als sehr robust erwiesen hat. Bleiben trotzdem mittel- und langfristige Folgen zurück? Aus einer gesamtwirtschaftlichen Optik hat sich die Lage bereits weitgehend normalisiert. Die wirtschaftlichen Aussichten sind gut. Weiter angespannt bleibt die Situation bei den internationalen Lieferketten, und die Gefahr steigender Inflation und Zinsen ist konkreter geworden. Ich bin aber zuversichtlich: Die durch Corona stark betroffenen Basel bieter Unternehmen werden in den nächsten Monaten den Krisenmodus Schritt für Schritt verlassen können. BAK Economics erwartet für den Kanton Basel-Landschaft im laufenden Jahr nochmals ein überdurchschnittlich hohes BIP-Wachstum von rund 3 Prozent. Für die Staatshaushalte war die Pandemie sehr belastend. Die Schulden des Bundes haben sich gegenüber 2019 um 14 Milliarden Franken erhöht, das Baselbiet wurde durch die Pandemie mit rund 100 Millionen Franken zusätzlich belastet. Wie kann dies kompensiert werden? Der Baselbieter Staatshaushalt hat die Corona-Krise mit «vertretbarem Schaden» überstanden. Dank der sehr guten Rechnungsabschlüsse in den Jahren 2017 bis 2019 verfügten wir über genügend finanziellen Handlungsspielraum, um die Krise bewältigen zu können. Die Unterstützungsmassnahmen haben jedoch – vorübergehend – die Verschuldung auch bei uns erhöht. Umso mehr bleiben der Abbau der Nettoverschuldung sowie die Stärkung des Eigenkapitals die übergeordneten finanzpolitischen Ziele des Regierungsrats. Der Regierungsrat musste in der Krise rasch handeln und seine finanzpolitische Strategie kurzfristig anpassen. Nun geht es weiter mit unserer Entwicklungsstrategie, denn alles in allem blicken wir optimistisch in die Zukunft. In den Jahren 2022 bis 2025 zeichnet sich eine durchaus positive finanzielle Entwicklung ab. Schwarze Zahlen über den ganzen Zeitraum sind, auch unter dem Vorsichtsprinzip, durchaus realistisch. Ich rechne zudem damit, dass die starke wirtschaftliche Erholung zu höheren Steuererträgen führen wird. Die Finanzlage des Baselbiets hatte sich vor der Pandemie nach schwierigen Jahren gerade wieder stark entspannt. Sind Sie um Ihre Arbeit gebracht worden? Nein, das würde ich nicht so absolut sagen. Aber unsere angesagte Entwicklungsstrategie hat durch die Pandemie schon einen zeitlichen «Dämpfer» erfahren. Wir waren zwei lange Pandemiejahre stark fremdbestimmt, respektive eben «virusgesteuert». Jetzt können wir wieder sorgfältig gesetzte Ziele in Angriff nehmen und Schwerpunkte setzen. Beispiele dafür sind die Stärkung der Digitalisierung, Massnahmen beim Klima, der Ausbau des Handelsregisteramts, die Schaffung eines kantonalen Assessmentcenters zur Entlastung der Sozialhilfe und dann natürlich die Reform der Vermögenssteuern I, die eine Reduktion der Steuerbelastung bringen wird. Bild: zVg Was blieb aus Ihrer Sicht politisch auf der Strecke in den vergangenen zwei Jahren? In der ersten Hälfte der Pandemie war das sicher die demokratische Entscheidungsfindung. Parlamente tagten kurze Zeit nicht mehr und viele Gemeindeversammlungen fielen aus oder mussten verschoben werden. Wichtige Entscheide wurden vertagt. Immerhin stelle ich im Kanton bei den Sachgeschäften keinerlei Stau fest. Wir haben trotz und parallel zur Pandemie an unseren Projekten weitergearbeitet. Persönlich habe ich natürlich die vielen gesellschaftlichen Anlässe und persönlichen Begegnungen vermisst. Politikerinnen und Politiker sind halt schon gerne unter den Leuten: eine eigentliche Essenz unseres politischen Daseins. «DER BASELBIETER STAATSHAUSHALT HAT DIE CORONA-KRISE MIT ‹VERTRETBAREM SCHADEN› ÜBERSTANDEN.» Und gesellschaftlich? Da ist vor allem unsere Jugend zukurzgekommen. Abstriche bei der Bildung an den Schulen und den Hochschulen mussten trotz aller Anstrengungen der Lehrerschaft in Kauf genommen werden. Ja, für die Jugendlichen war es sicher nicht einfach: «Verbannung» in die strikte Isolation ohne die geliebten Freiräume, und dazu vielleicht auch noch «gestresste» Eltern. Da ist der Tunnel besonders dunkel und beklemmend geworden. Aber es gibt nun auch wieder positive Zeichen, die wir gerne mit auf den weiteren Weg nehmen. Viele reden schon länger von der zurückkehrenden Normalität. Sind wir nun schon an diesem Punkt oder braucht das noch ein bisschen mehr? Die früheren Zeiten kommen nicht mehr zurück. Das war schon vor Corona so. Ich denke, wir leben heute in einer «neuen» Realität nach Corona. Unser Blick und unsere Wertschätzung von Freiheit und Sicherheit wurden sicherlich gestärkt. Beides ist niemals selbstverständlich. Und so freuen wir uns über die wiedergewonnenen Freiheiten und am Wegfall unzähliger «lästiger» Vorschriften. Ich freue mich jetzt mal auf den Frühling und den Sommer. Und ich werde wieder Hände schütteln. Aber ich werde auch bereit sein, mich neuen Herausforderungen zu stellen. Wie gesagt: Nichts will unverdient bleiben, weder Sicherheit noch Wohlstand noch Gesundheit. Endlich können wir auch wieder vertieft über Themen ausserhalb von Corona sprechen. Welche Projekte stehen in der Finanzdirektion in den nächsten Monaten an? Viel. Aktuell arbeiten wir am Aufgaben- und Finanzplan 2023–2026. Bereits in der parlamentarischen Behandlung steht die Totalrevision des Gebäudeversicherungsgesetzes (Sachversicherungsgesetz). Weitere Projekte sind die Revision des Mietzinsbeitragsgesetzes, die Vermögenssteuerreform I, die Vernehmlassung zur Unternehmenssteuerreform gemäss Vorgaben der OECD (Mindestbesteuerung). Und im Mai ist die Volksabstimmung über die Revision des Sozialhilfegesetzes geplant. Und wir werden uns auch mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine befassen. Interview: Daniel Schaub PANDEMIE-AUSGABEN BL VON MÄRZ 2020 BIS FEBRUAR 2022 Soforthilfe Frühjahr 2020 CHF 39,8 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 5,8 Mio.) Kurzarbeitsentschädigungen CHF 254,4 Mio. Dreidrittelslösung (Miete) CHF 66 421.– Härtefallhilfe Test- und Impfzentren Breites Testen Baselland Logistik und Kommunikation Sonstiges Total Basel-Landschaft total CHF 132,6 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 93,8 Mio.) CHF 28,5 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 7 Mio.) CHF 28,5 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 27,7 Mio.) CHF 26,5 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 1,9 Mio.) CHF 115,4 Mio. (brutto, davon Bundesgelder CHF 14 Mio.) CHF 625,7 Mio. (brutto, davon Bund CHF 405,1 Mio.) CHF 220,6 Mio. netto

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