SCHWEIZERISCHE 19. Juni 2020 Die Zeitung für KMU | Regionalbund | Standpunkt-Ausgabe Nr. 504 – 23. Jahrgang AZA 4410 Liestal DIE MEINUNG Die vergessenen Jugendlichen BERUFSBILDUNG – Die Coronakrise wirkt sich auch auf die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses aus. Damit die Zahl der angebotenen Lehrstellen nicht zurückgeht, sind rasche Massnahmen nötig. Anpacken und unterstützen Von Christoph Buser, Direktor Wirtschaftskammer Baselland. Die Kantonsregierung hat vergangene Woche ihre Bilanz zur Coronakrise gezogen, seit dem 6. Juni ist die Schweiz weitgehend gelockert, diese Woche gingen die Grenzen zu Deutschland und Frankreich wieder auf und die ausserordentliche Lage wird heute, am 19. Juni, beendet. Es geht also langsam vorwärts, wir rappeln uns auf – das ist das Gefühl, das man vermittelt bekommt. Leider stimmt das nicht für alle. Es gibt nach wie vor keine Messen, keine Konzerte, keine Fussballspiele, keinen Stadtlauf. Die Eventbranche kann de facto nach wie vor nicht arbeiten, auch wenn seit dem 6. Juni Veranstaltungen bis 300 Personen nun erlaubt sind. Für die vielen KMU in der Branche gibt es de facto auch keine Aufträge. Praktisch alle Veranstaltungen des laufenden Jahres wurden abgesagt und Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen bleiben bis mindestens Ende August verboten. Die Kurzarbeit für Lernende wurde am vergangenen 31. Mai aufgehoben. «Im Vordergrund steht hier eine möglichst rasche Fortsetzung der Ausbildung», hat der Bundesrat in seiner Mitteilung geschrieben und dabei ausser Acht gelassen, dass es nach wie vor Branchen gibt, die praktisch ein Berufsverbot haben. Wie lange kann ein Unternehmen in der Eventbranche Lernende beschäftigen, wenn der Auftragseingang null ist? Diese Frage hat sich bei der Entscheidungsfindung offenbar niemand gestellt. Die Lernenden der Eventbranche wurden schlicht und einfach vergessen. Dies hat dazu geführt, dass KMU in diesen Tagen darüber nachdenken, Lehrverhältnisse auf Ende Juni zu kündigen. Dass ein Unternehmen nun auf diesen Missstand aufmerksam macht, wie man in dieser Zeitung auf Seite 3 lesen darf, kann man nur begrüssen und unterstützen. Es würde dem Kanton Basel-Landschaft, zweifellos sehr gut anstehen, sich rasch und zielorientiert für diese Jugendlichen zu engagieren. Ich bin sicher, dass sich dafür das nötige Geld finden lässt. Denn Engagement für die Lernenden hat der Kanton immer wieder gezeigt. Es darf schlicht nicht passieren, dass in unserem Kanton ein KMU seine Lernenden entlassen muss, weil die Branche ein Berufsverbot hat und man sich die Kosten für seine Lernenden schlicht nicht mehr leisten kann. Das ist ein No-Go. HEUTE IM STANDPUNKT 3 | ENERGIEPAKET Bundesgericht gibt Wirtschaftskammer recht. 10 | SIC Der First Pitch der Swiss Innovation Challenge fand wegen Corona virtuell statt. Es gibt einen Grund, weshalb genau dieses Bild auf der Titelseite dieser Zeitung ist: Die Lernenden packen an und sind die Zukunft unserer KMU-Wirtschaft. Diese jungen Menschen verdienen unsere Unterstützung und unsere spezielle Aufmerksamkeit, das wird niemand bestreiten wollen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat der Standpunkt der Wirtschaft für diese Ausgabe diverse Ausbildungsbetriebe besucht und portraitiert. Aber nicht nur. Die Baselbieter Konnex GmbH, die in der Eventbranche daheim ist, weist mit einem dringlichen, offenen Brief auf ihre wirtschaftliche Situation hin und auf die möglichen Konsequenzen für Lernende. «… und es ist offen und ein grosses Fragezeichen, ob und wie wir unsere Auszubildenden ab Sommer 2020 weiter beschäftigen können», heisst es in diesem Schreiben. Weniger Lehrstellen wegen Corona Gimha Mistkalo beendet dieser Tage seine zweijährige Attestlehre als Strassenbauer EBA bei der Terraluk Bau AG in Laufen. Anschliessend wird er im abgekürzten Verfahren die EFZ-Ausbildung nach holen. Bild: Buess Das bestätigt die Aussage, die in einer Umfrage bei rund 1000 Lehrbetrieben in der Region gemacht wurde. 91 (Einundneunzig!) Prozent der Lehrbetriebe haben angegeben, dass die aktuelle Notlage sich auf die Anzahl der Lehrstellen auswirkt, die im Lehrjahr 2020/2021 angeboten wird. In der vergangenen Ausgabe hat der Standpunkt erste Resultate dieser Umfrage der Wirtschaftskammer und des Kantons bekannt gemacht. Heute publizieren er die detaillierten Ergebnisse. Und die erwähnte Aussage ist nicht die einzige Erkenntnis, die rasche und zielgerichtete Massnahmen nach sich ziehen sollte. 17 Prozent der Befragten sagen: «Wir beabsichtigen nicht, mittel- bis längerfristig im gewohnten Umfang Lernende auszubilden.» Es pressiert. Denn Ende Monat müssen sich viele Firmen entscheiden, ob und wie es mit ihren Lernenden weitergehen soll. Das Schreiben der Konnex GmbH verknüpft die aktuellen Probleme von Ausbildungsbetrieben mit der Befindlichkeit in der Event- und Messe branche. Und damit sind nicht nur die Veranstalter und Messebetriebe gemeint, sondern auch Tontechniker, Caterer oder Vermieter von Licht- oder Soundanlagen mit all ihren Angestellten und – wie im Fall der Konnex – mit ihren Lernenden. Von der Politik unterschätzt Alle diese KMU sitzen nach wie vor im Wartesaal der Corona-Lockerungen, denn alle Anlässe mit mehr als 1000 Personen sind bis Ende August untersagt. Möglich sind derzeit nur Veranstaltungen bis 300 Personen. Thomas Dürr von der act entertainment ag findet im Interview deutliche Worte. Man werde von der Politik unterschätzt, obwohl in seiner Branche 275000 Menschen tätig seien. Man erwarte ähnliche Unterstützung wie für die Tourismusindustrie, denn mit 70 Milliarden Franken Umsatz erreiche seine Branche 22 Milliarden Franken Wertschöpfung. Am kommenden 24. Juni will der Bundesrat über das weitere Vorgehen bei Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen und weitere Lockerungen beschliessen. Die Krise ist noch nicht vorbei. Um das Bild wieder aufzunehmen: Es muss noch eine Menge angepackt werden. Patrick Herr Seiten 2–5 VERKEHRSPOLITIK – Die Coronakrise beeinflusst das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Auf Kosten von Bus und Zug legen Velos, E-Bikes, Motorräder und Autos zu. Die Verkehrsplanung wird so noch wichtiger. Die Mobilität der Zukunft braucht einen Plan Mit dem Ausbruch von Covid-19 hat sich das Mobilitätsverhalten auch in der Region Nordwestschweiz sehr verändert. Eine Studie des Beratungsunternehmens Deloitte bestätigt, was man auf der Strasse beobachten konnte: der Individualverkehr gewinnt an Bedeutung, während vor allem der öffentliche Verkehr mit weniger Passagieren rechnen muss. Velos und E-Bikes tragen schon seit Längerem zu diesem Trend bei. In der Coronakrise hat nun das Auto ein Comeback hingelegt und bleibt als Transport- und Verkehrsmittel unverwüstlich. Aber auch Roller und Motorräder waren plötzlich mehr gefragt, wie sich aus den Zahlen der Motorfahrzeugkontrolle Basel-Landschaft (MFK) lesen lässt. Schon nach sechs Monaten ist 2020 das Plus an Immatrikulationen von Motorrädern dreimal so hoch wie im ganzen vergangenen Jahr. «Bus und Zug lasse ich erstmal sein. Ich fühle mich wohler so», hat der Herr im besten Alter gesagt, als er sich im Scooter-Laden für eine neue Vespa entschieden hat. Viele Menschen überdenken derzeit ihr Mobilitätsverhalten und passen sich der neuen Situation an. Ein Trend, den viele Beobachter als signifikant und nachhaltig bezeichnen. Alles wird anders Experten überbieten sich zurzeit mit unterschiedlichen Prognosen und Weissagungen zur Zukunft unseres Mobilitätsverhaltens. Anders unterwegs sein. Nachhaltiger fahren. We niger reisen dank «Homeoffice» und Videokonferenzen. Einig ist man sich einzig darin, dass alles anders wird. Die Dinge verändern sich also derzeit rasant und es stellt sich die Frage, wie die Mobilität der Zukunft aussehen soll und wie es eigentlich um unsere Verkehrsplanung bestellt ist. Wie es der Name impliziert, sollte man davon ausgehen dürfen, dass einer Verkehrsplanung aus naheliegenden Gründen ein Plan zugrunde liegt, der idealerweise auch mit allen Akteuren abgesprochen ist. Das sei aber leider nicht der Fall, sagt FDP- Landrat Christof Hiltmann, Gemeindepräsident von Birsfelden, in einem Gastkommentar in dieser Zeitung. «Es findet in unserer Region keine übergeordnete Verkehrsplanung statt», sagt er und fordert, dass der Kanton Basel-Landschaft die Führungsrolle übernimmt. Ja zur HLS-Initiative Es brauche im doppelten Sinn neue Wege, sagt Hiltmann und macht sich für ein Ja zur HLS-Initiative vom 27. September stark: «Neue Mobilitätsformen und -technologien bieten fantastische Möglichkeiten, das Problem nicht nur mit neuen Strassen zu lösen. Aber ohne einen intelligent geplanten Infrastrukturausbau geht es eben auch nicht.» Es gibt mit den aktuellen Veränderungen im Verkehrsbereich viele Herausforderungen. Die erste ist aber ohne Zweifel, dass die Mobilität der Zukunft einen Plan braucht. Patrick Herr Seite 9
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