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Standpunkt 493, 22.11.2019

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2 | Standpunkt der Wirtschaft TAG DER WIRTSCHAFT 22. November 2019 BUNDESRAT GUY PARMELIN – Es gelte, die Schweizer Tugenden zu pflegen: liberaler Arbeitsmarkt, Sozialpartnerschaft und Bildung, sagt der Hauptredner am diesjährigen Tag der Wirtschaft. Dabei sei die Weiterentwicklung der Berufs bildung ganz besonders wichtig. «Ohne den Menschen geht nichts» Standpunkt: Herr Bundesrat, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie vom Kanton Baselland hören? Bundesrat Guy Parmelin: Eine sehr, sehr emsige, aktive und überzeugende Wirtschaftskammer … (lacht), Natürlich auch die Kirschen und den Baselbieter Wein. Was haben Sie von unserem Kanton bereits kennengelernt oder gesehen? Als Bundesrat habe ich bereits mehrmals das Baselbiet besucht, namentlich den Chienbäse-Umzug und erst kürzlich das kantonale Schützenfest. Sie waren unser Hauptreferent am Tag der Wirtschaft, wieso haben Sie uns bei der Anfrage ohne grosses Zögern zugesagt? Ich wurde von Nationalrätin Sandra Sollberger angefragt. Sie war absolut überzeugend. So wie der Anlass selber. Sie referierten vor über 3000 Besuchern. Ist ein Bundesrat auch ein wenig nervös vor so einem Auftritt? Eine Rede ist immer eine Herausforderung. Ganz besonders, wenn sie vor sachkundigem Publikum gehalten werden muss. Aber sonst habe ich kein Problem mit öffentlichen Auftritten. Sie bereiten mir immer Freude und sie geben mir die Möglichkeit zu erfahren, was im Land läuft. «EINE REDE IST IMMER EINE HERAUS- FORDERUNG. GANZ BESONDERS, WENN SIE VOR SACHKUNDIGEM PUBLIKUM GEHALTEN WERDEN MUSS.» Wie wichtig sind Anlässe wie der Tag der Wirtschaft? Gerade jetzt, wo immer weniger Wirtschaftsführer bereit sind oder aufgrund der Belastung nicht die Möglichkeit haben, sich als Bürger in die Politik einzubringen und sich wählen zu lassen, ist es wichtig, dass die Wirtschaft sagt, wo der Schuh drückt und sich mitteilt. Ich höre gern zu, auch wenn ich mir mehr Unternehmer in unserem Parlament wünschte. Was haben Sie den KMU-Vertretern am Tag der Wirtschaft mit auf den Weg gegeben? Die Welt ist im Umbruch. Einerseits stellt uns die Digitalisierung vor enorme Herausforderungen, andererseits wird die liberale internationale Wirtschaftsordnung durch neue Handelshemmnisse bedroht, während die EU immer noch durch den Brexit verunsichert bleibt. Die Wirtschaftslage verdüstert sich. Der Bundesrat verfolgt die Entwicklung eng und handelt. Mit der «Mind the gap»-Strategie bereiten wir unser Land auf den Brexit vor, mit neuen Handels verträgen mit den Mercosur-Ländern oder Indonesien, wollen wir neue, stabile Märkte erschliessen. Bei der Digitalisierung unterstreiche ich, was die Schweiz schon alles erreicht hat, und «Öffentliche Auftritte wie am Tag der Wirtschaft in Münchenstein bereiten Bundesrat Guy Parmelin immer Freude: «Sie geben mir die Möglichkeit, zu erfahren, was im Land läuft», sagt er. Bilder: zVg wie wichtig dabei Flexibilität, Wissen und Bildung sind. Wie versuchen Sie die KMU in unserem Land zu stärken? Es gilt, die Schweizer Tugenden zu pflegen: liberaler Arbeitsmarkt, Sozialpartnerschaft und Bildung. Dabei ist die Weiterentwicklung der Berufsbildung ganz besonders wichtig. Der neue Bericht des Observatoriums für Berufsbildung zeigt eindrucksvoll, dass die ausbildenden Betriebe im Schnitt von ihrer Investition in Lernende deutlich profitieren. Ganz wichtig aber ist, die Bürokratie, wo immer nur möglich, abzubauen. Das ist zwar einfacher gesagt als getan, aber wir bauen weiter auf Digitalisierung, und mein Departement schaut schon genau hin, was in der Bundesverwaltung überall gemacht wird. Das Thema gestern in der St. Jakobshalle war «Erfolgsfaktor Mensch». Ohne Menschen keinen Erfolg: einverstanden? Absolut. Das trifft für die Schweiz ganz besonders zu. Wir sitzen, salopp gesagt, auf vielen Bergen mit wenig Rohstoffen. Das ist eine Herausforderung, weil wir die Wertschöpfung nur mit unseren Gehirnen schaffen können. Damit das klappt, müssen diese Gehirne ausgebildet und mit Wissen versehen werden. Deshalb hat die Schweiz immer auf Bildung und Forschung gesetzt. Dabei steht der Mensch als Schüler, Forscher und Macher immer im Zentrum. Ohne den Menschen geht in der Schweiz nichts. Wie stärken Sie in Ihrem Departement den Erfolgsfaktor Mensch? Die Zusammenführung der Wirtschaft einerseits und der Bildung, Forschung und Innovation andererseits, unter einem Dach im meinem Departement, hat die Kooperation verstärkt. Das schärft das gegenseitige Verständnis und den Nutzen für alle Parteien. Die Berufsbilder sind immer in Bewegung. Dem muss die Berufsbildung Rechnung tragen. Es läuft ein permanenter Modernisierungsprozess. Die Digitalisierung ist zu einem permanenten Thema geworden, die alle unsere Aktivitäten prägt: In der Bildung, Weiterbildung, Forschung, Innovation, Regionalund KMU-Politik. Wir wollen, dass sich unsere Bevölkerung in diesem sich stets wandelnden Umfeld zurechtfindet. Wo wird der Mensch in der digitalisierten Zukunft seinen Platz finden?

22. November 2019 TAG DER WIRTSCHAFT Standpunkt der Wirtschaft | 3 Digitalisierung hin oder her, der Mensch muss im Zentrum unserer Wirtschaftspolitik bleiben. Wie schon gesagt, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder die nötige Bildung und Ausbildung bekommen kann, damit er sich in einem sich stets verändernden Umfeld zurechtfinden kann. Wenn wir von der Digitalisierung reden, können wir ungefähr voraussagen, welche Jobs sich verändern oder sogar in der heutigen Form verschwinden werden. Viel schwieriger wird es, wenn wir prophezeien wollen, welche Jobs es morgen geben wird. Ich bin überzeugt, dass viele von ihnen interessanter und vielseitiger werden als die meisten von jenen, die verschwinden werden. Installateure und Monteure von neuen Infrastrukturen werden zum Beispiel weiterhin gefragt bleiben, weil kein Roboter sich in immer wechselnden Situationen zurechtfinden kann. Aber bei den schwersten Arbeiten werden diese Installateure und Monteure dann von immer besseren Robotern unterstützt. Roboter werden den Menschen nicht unbedingt ersetzen, aber wir müssen lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Um diese Kooperation herzustellen, braucht es auch Spezialisten. Was sagen sie den Bürgerinnen und Bürgern, die Angst vor der Zukunft haben? Ich habe Verständnis. Die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, sind sehr gross. Aber gleichzeitig hat die Schweiz seit dem Anfang der ersten industriellen Revolution gelernt, solche Entwicklungen zu meistern. Dank der Sozialpartnerschaft wissen wir, wie wir mit Arbeits- und Sozialkonflikten umgehen wollen und sorgen mit den Sozialwerken dafür, dass niemand zurückgelassen wird. Dank unserer direktdemokratischen Institutionen können sich unsere Bürger immer wieder einbringen, um andere und vielleicht bessere Lösungen vorzuschlagen. Auch diese Möglichkeit sollte eigentlich Vertrauen stiften. Welcher Faktor ist für Sie als Bundesrat der wichtigste, um erfolgreich zu sein? Sich immer wieder infrage zu stellen und bereit zu sein, immer wieder Neues zu lernen. Das gilt auch für Bundesräte. Sogar ganz besonders für Bundesräte. «ES IST WICHTIG, DASS DIE WIRTSCHAFT SAGT, WO DER SCHUH DRÜCKT, UND SICH MITTEILT. ICH HÖRE GERN ZU, AUCH WENN ICH MIR MEHR UNTERNEHMER IN UNSEREM PARLAMENT WÜNSCHTE.» Sie waren diesen Sommer Gast an den Berufsweltmeisterschaften WorldSkills in Russland. Was für Eindrücke haben Sie gewonnen? Besonders beeindruckend war die Eröffnungsfeier. Das war wie bei den Olympischen Spielen: der Einmarsch der Teilnehmenden und eine grosse Show vor 45 000 Zuschauern. Aber auch die handwerklichen Leistungen vor Ort haben mich sehr berührt. Die jungen Fachleute brillierten unter grösstem Zeitdruck – Chapeau. Welche Unterschiede haben Sie bei Schweizer Berufsleuten im Vergleich zu jenen anderer Länder festgestellt? Es gibt Länder, die bereiten ihre Repräsentanten wie Spitzensportler vor. Der Wettkampf ist bei ihnen das Die Schweiz habe immer auf Bildung und Forschung gesetzt: «Dabei steht der Mensch als Schüler, Forscher und Macher immer im Zentrum», sagt Bundes rat Guy Parmelin. Ziel. Das ist bei unseren Berufsleuten ja nur ein Nebeneffekt. Gerade in Deutschland gibt es zum Teil einen grossen Mangel an Berufsleuten auf dem Bau. Wie verhindern wir solche Zustände bei uns in der Schweiz? Der Fachkräftemangel ist überall spürbar, nicht nur auf dem Bau. Meine Ministerkollegen der umliegenden Länder beschweren sich übrigens bei mir, dass die Schweiz ihnen dank guter Gehälter ihre Fachkräfte abluchst. Aber Spass beiseite: Wir müssen uns natürlich auch engagieren, um diesem Problem zu begegnen. Wir haben einiges unternommen, unter anderem, um den ausgebildeten Frauen nach der Mutterschaft den Weg zurück ins Berufsleben zu ebnen, oder den Unternehmen nahe zu legen, dass über 50-Jährige einen grossen Erfahrungsschatz mit sich bringen. Wie könnte man die KMU bei uns noch stärker für die Ausbildung von Lernenden einspannen oder begeistern? Die KMU müssen wissen, dass sich diese Ausbildungen für sie lohnen. Deshalb werde ich demnächst auch persönlich den neuen Bericht des Observatoriums für Berufsbildung den Medien vorstellen. Dieser zeigt ganz genau auf, dass die Firmen im Schnitt ihren Vorteil finden. Wieso hat die Berufslehre trotz den diversen Weiterbildungsmöglichkeiten immer noch einen schweren Stand gegenüber den Universitäten? Wir müssen diese Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Berufslehre noch bekannter machen, damit dieser Ausbildungsweg noch attraktiver wird. Ich bin überzeugt, dass die enge Verbindung zwischen praktischer Erfahrung und Zugang zur höheren Bildung zukunftsweisend ist. Die Universitäten richten sich inzwischen ja auch schon stärker auf die Berufswelt aus. Immer mehr akademische Bildungswege setzen neben den theoretischen Vorlesungen vermehrt auf praktische Stages, um die Anstellungschancen der Studierenden zu verbessern. Sie waren zuerst am Gymnasium, haben sich dann aber zum Landwirt und Winzer ausbilden lassen. Wo haben Sie mehr gelernt, auf der Schulbank oder auf dem Feld? Beides waren sicher gute Grundlagen. Ich habe es immerhin zum Bundesrat gebracht … (lacht). «SICH IMMER WIEDER INFRAGE ZU STELLEN UND BEREIT ZU SEIN, IMMER WIEDER NEUES ZU LERNEN. DAS GILT AUCH FÜR BUNDESRÄTE. SOGAR GANZ BESON- DERS FÜR BUNDESRÄTE.» Sie leiten nun seit fast einem Jahr das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, kurz WBF. Wie fällt Ihr Fazit aus? Es ist ein spannendes, vielseitiges und forderndes Departement. Ich habe viele Ministerhüte auf. Ich bin Wirtschafts-, Handels- und Landwirtschaftsminister, aber auch Forschungs-, Bildungs- und Innovationsminister. Ich bin zudem Arbeitsminister und mit Alain Berset teile ich die Aufgaben eines Sozialministers. Besonders stolz bin ich auf meine Rolle als Raumfahrtminister. Dann kümmere ich mich auch um das Wohnungswesen und um den Zivildienst. Kurz, meine Tage sind sehr ausgefüllt. Aber es macht Freude, und ich werde von meinen Mitarbeitern ausgezeichnet unterstützt. Mich freut es ganz besonders, den Unternehmern und den Forschern näher zu kommen, ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie nach Kräften und Möglichkeiten zu unterstützen, damit unser Wohlstand erhalten bleibt. Können Sie uns einige Ihrer Highlights aus diesem ersten Jahr als WBF-Vorsteher aufzählen? Ich bin sehr stolz, dass ich in den letzten Verhandlungsstunden persönlich zur Unterzeichnung des EFTA-Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten beitragen konnte. Während den WorldSkills in Kazan war ich direkt am Telefon mit unseren Unterhändlern in Buenos- Aires, um die letzten heiklen Punkte auszubügeln. Das war äusserst spannend. Ich bin auch sehr froh, dass wir mit dem damaligen Handelsminister Grossbritanniens die nötigen Verträge unterschreiben konnten, um uns auf die Konsequenzen des Brexits vorzubereiten und um zu verhindern, dass unsere Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich in einem Vakuum landen. Was sind die grossen Unterschiede zwischen Ihrem alten Departement, jenem für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport – VBS – und nun dem WBF? Das VBS ist mit mehr als 11 500 Vollzeitstellen das grösste Departement der Bundesverwaltung. Das WBF ist mit etwas mehr als 2000 Posten sehr viel kleiner. Aber im Gegensatz zum VBS hat das WBF viel mehr externe Beziehungspunkte. Wirtschaft, Arbeit oder Wohnen betreffen fasst jeden Menschen in unserem Land. Bildung zumindest jeden Jugendlichen. Das macht die Aufgabe politisch sehr komplex. Man muss auf sehr viele verschiedene Interessen Rücksicht nehmen und versuchen, zu vereinen. Ich merke, dass ich mit vielen verschiedenen Leuten aus verschiedenen Milieus zusammenkomme. Beim VBS waren es mehr Repräsentanten der Politik, der Kantone oder der Verwaltungen und natürlich der Armee. Welche Ziele haben Sie für Ihr Departement für das nächste Jahr? Ich möchte im Bereich des Abbaus der administrativen Entlastung für die Unternehmen weiterkommen. Es gilt zudem, dafür zu sorgen, das Handelsabkommen mit den «WIR SITZEN AUF VIELEN BERGEN MIT WENIG ROHSTOFFEN. DAS IST EINE HERAUS- FORDERUNG, WEIL WIR DIE WERTSCHÖPFUNG NUR MIT UNSEREN GEHIRNEN SCHAFFEN KÖNNEN.» Mercosur­ Staaten zu ratifizieren und die Agrarpolitik 22+ sowie die Bildungs-, Forschungs-, und Innovationsbotschaft durch das Parlament zu bringen. Zudem gehen die Debatten um die Trinkwasserinitiativen sowie die Initiative für eine Schweiz ohne Pestizide weiter. Was bedeutet der grüne Wahlerfolg bei den Wahlen 2019 für Ihre Arbeit? Wir werden mehr Diskussionen haben, was zum Schutz von Klima und Umwelt notwendig ist, und gleichzeitig wirtschaftlich vertretbar ist. Wir steigen dabei in eine interessante Lernkurve ein, die für alle Parteien sehr wichtig ist. Es wird hoffentlich auch ein paar neue Ansätze geben, um bestehende Widersprüche aufzulösen. Ich möchte dabei auch vermitteln. Wir müssen alle lernen, dass wir viel durch unser Marktverhalten beeinflussen können. Es braucht nicht immer nur mehr staatliche Verbote und Abgaben. Interview: Dominique Heller

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