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Baselland Business 2/2022 Deutsch / Special Nachhaltigkeit

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Wirtschaftsguide für die Region Basel-Landschaft in deutscher und englischer Sprache

Interview Guy Parmelin

Interview Guy Parmelin «Anpassungsfähigkeit wird unterschätzt» Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat intensive Monate hinter sich. Im Interview spricht er über die wirtschaftliche Lage, die Versorgungssicherheit mit Energie, und den Anschluss an das europäische Forschungsprogramm Horizon. Interview: Daniel Schaub BL Business: Herr Bundesrat Parmelin, Sie sind am 24. November wieder einmal Gast in der Wirtschaftsregion Basel. Was beeindruckt sie an diesem Standort? Guy Parmelin: Die Wirtschaftsregion Basel ist ein unglaublicher Motor für die Schweizer Wirtschaft. Denken Sie nur an die Pharmabranche, die einen grossen Beitrag am wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz leistet. Aber nicht nur das. Erst kürzlich konnte ich in dieser Region den grössten Innovationspark von Switzerland Innovation eröffnen. Das unterstreicht, wie attraktiv dieser Standort ist. Die Wirtschaft hat schwierige Monate hinter und vor sich: die Corona-Pandemie, die Energiekrise, die Inflation, Lieferengpässe, Fachkräftemangel, die Zinswende. Wo sehen Sie die Schweizer Wirtschaft in der Ist-Analyse im November 2022? Wie erwartet, hat sich die Erholung der Schweizer Wirtschaft von der Corona-Krise im Verlauf dieses Jahres fortgesetzt. Die aktuellen Konjunkturindikatoren vermitteln aber ein gemischtes Bild. Die Teuerung in der Schweiz bewegt sich weiterhin auf einem verhältnismässig moderaten Niveau. Die günstige Entwicklung des Arbeitsmarkts dürfte den privaten Konsum weiterhin stützen. Das internationale Umfeld ist aber herausfordernd. Der Krieg in der Ukraine, die hohen Inflationsraten in vielen Ländern und die Entwicklung in China lasten auf der Weltwirtschaft. Auch die Straffung der Geldpolitik hat natürlich einen Einfluss auf die Schweiz, den es zu bewältigen gilt. Kürzlich fand ein weiterer Austausch zwischen Ihnen, den Wirtschaftsverbänden, den Aussenhandelskammern und weiteren Vertretern der Schweizer Exportwirtschaft statt. Wie nehmen Sie die Stimmung bei den wichtigen Unternehmen im Land derzeit wahr? Trotz eines anspruchsvollen Umfelds und vielfältiger Herausforderungen zeigte sich die Exportwirtschaft insgesamt zuversichtlich. Unsere Exporteure haben gelernt, mit Krisen umzugehen. Was mich im Kontakt mit ihnen immer wieder beeindruckt, ist, dass sie sich nicht von widrigen Bedingungen aufhalten lassen, sondern mit viel Eigeninitiative und 4 Baselland Business

innovativem Geist Lösungen finden. Der Bund setzt sich weiterhin für möglichst günstige Rahmenbedingungen ein, beispielsweise beim Zugang zu ausländischen Märkten. Die aktuell diskutierte Energiemangellage im kommenden Winter ist nicht unbedingt ein neues Phänomen in der Schweiz. Warum sind wir aktuell stärker beunruhigt als in früheren Wintern? Die Schweiz ist im Winter immer auf Gas- und Stromimporte aus dem europäischen Ausland angewiesen, beim Gas zu 100 Prozent. Die Ausgangslage für diesen Winter ist aber doch recht einmalig. Der Ukraine-Krieg hat uns allen gezeigt, wie verletzlich und abhängig die europäische Energieversorgung ist. Dies gilt insbesondere fürs Gas, ein Energieträger, der gerade in Deutschland auch zur Stromproduktion genutzt wird. Hinzu kamen Revisions- oder Reparaturarbeiten an über der Hälfte der französischen Atomkraftwerke, eine für die Schweiz wichtige Stromquelle im Winter. Und dann gab es auch noch logistische Probleme, welche die Versorgung der Schweiz mit Mineralölprodukten erschwerten. Dies alles führte zu einer fragilen Situation. Der Bundesrat hat deshalb in den vergangenen Monaten viel unternommen, um die Versorgungssicherheit der Schweiz mit Energie zu stärken. Sie haben jüngst in Aussicht gestellt, dass die Energiekrise die Schweiz noch zwei, drei weitere Jahre beschäftigen könnte? Wie soll und kann die Wirtschaft, die aktuell und dann vor allem im Jahr 2023 von starken Preiserhöhungen belastet ist, damit umgehen? Um mit den höheren Strompreisen umzugehen, haben die Unternehmen verschiedene privatwirtschaftliche Möglichkeiten, wie den Abschluss langfristiger Lieferverträge oder den Wechsel auf eine Beschaffung zu flexiblen Preisen. Wie sich die Preise im Winter 2023 entwickeln werden, können wir nicht abschätzen. Unternehmen können aber bereits jetzt ihre Strompreise für den Winter 2023/2024 absichern oder durch Investitionen in ihre Energieeffizienz ihre Widerstandsfähigkeit stärken. Der Bundesrat hat einen Notfallplan für den kommenden Winter erarbeitet. Was passiert, wenn es nach den bereits eingeleiteten Sparmassnahmen, möglichen Einschränkungen und Kontingentierungen zum Äussersten kommen würde, der Abschaltung von Stromlieferungen? Das wäre in der Tat «Ultima Ratio» und würde bedeuten, dass alle vorangehenden Massnahmen, mit denen versucht wurde, diesen schlimmsten aller Fälle zu verhindern, nicht gefruchtet haben. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommen wird. Einerseits, weil die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Unternehmen in diesem Land vorher die Notbremse ziehen und sich weiter einschränken werden. Andererseits, weil wir Reserven aufgebaut und Absprachen getroffen haben. Trotzdem ist es unerlässlich, sich auch auf diese Situation vorzubereiten. In einem von Krisen und Unsicherheiten geprägten Umfeld ist es nicht ganz einfach, die Unternehmen von Nachhaltigkeitsthemen wie der Energiestrategie 2050 und anderen Transformationsprozessen zu überzeugen. Wie finden wir hier die Balance zwischen Versorgungssicherheit und den Zielen der Dekarbonisierung? Dafür gibt es im Moment kein pfannenfertiges Rezept, denn innerhalb von weniger als einem Jahr hat sich die Ausgangssituation grundlegend verändert. Wir müssen jetzt Wege finden, um unsere Wärmeund Energieversorgung sicherzustellen, und gleichzeitig die Klimaziele anpeilen. Immerhin: Ich bin fest überzeugt, dass uns die gegenwärtige Krise die Augen geöffnet und den Prozess beschleunigt hat. Wenn wir mit dem heutigen Elan weiterarbeiten können, werden wir schon vor 2050 deutliche Fortschritte machen. Kann die Energiewende wirtschaftlich auch eine Chance für die Schweiz sein? Durchaus. Die Schweizer Wirtschaft ist in einer guten Ausgangslage. Die Energieintensität ist im Vergleich zum Ausland tiefer und wir haben dank der Wasserkraft bereits einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien. Ich bin zudem überzeugt, dass die Anpassungsfähigkeit unserer Unternehmen immer wieder unterschätzt wird. Wichtig ist, den Unternehmen möglichst viel Freiraum zu geben, damit sie ihre Energiesparpotenziale und ihre Beschaffungsstrategie möglichst optimal umsetzen können. Viele Branchen klagen über Fachkräftemangel – gerade die schon von der Corona-Krise betroffenen Branchen wie Baselland Business 5

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