Interview David Bosshart «Die soziale Nachhaltigkeit ist die wichtigste» David Bosshart ist Präsident der Duttweiler Stiftung und Gründer von Bosshart & Partners, Globaler und lokaler Speaker, Vordenker und Autor. Zuvor war er 22 Jahre CEO des Duttweiler Instituts. Interview: Daniel Schaub Corona, Energie, Fachkräfte, Geldund Zinsmarkt, Ukraine-Krieg, EU-Rahmenabkommen – kann sich die Schweizer Wirtschaft vor lauter Krisen und Problemen derzeit überhaupt noch retten? David Bosshart: Entscheidend ist alleine, ob wir handlungsfähig bleiben und gemeinsam vernünftige Ziele umsetzen können. Im mittlerweile lang anhaltenden Wohlstand haben wir grosszügig vergessen, dass Krisen, Kriege und Katastrophen unser Leben und unsere Erinnerungen immer tief geprägt haben. Das hat uns auch als Menschen und als Gesellschaft robust gemacht und den Sinn für das Machbare gestärkt. Heute leben wir zu sehr von Wunschvorstellungen und sind gefangen in einer Vielzahl von verletzlichen Bubbles, insbesondere was Technologie und Finanzmärkte betrifft. Demgegenüber hat sich unsere Sprache als verräterischer Indikator klammheimlich dem Wandel angepasst: sie hat sich militarisiert und prägt unser Denken und Handeln nun verstärkt – Handelskriege, Währungskriege, Produktoffensiven, Rabattschlachten, Materialschlachten, Krieg um die besten Talente, Headhunters, Aktionärsaktivisten und feindliche Übernahmen, Informationen als Waffen und Propaganda als Gehirnwäsche. Man sieht nicht zufällig vermehrt Generäle und nicht mehr CEOs als Keynote Speaker an Veranstaltungen. Heute leben wir zu sehr von Wunschvorstellungen und sind gefangen in einer Vielzahl von verletzlichen Bubbles, insbesondere was Technologie und Finanzmärkte betrifft. Die Wirtschaft lebt ja nicht primär von der Problembewältigung, sondern von der Entwicklung, der Innovation, von guten Zukunftsideen und -strategien. Bleibt dies angesichts des aktuell problembelasteten Tagesgeschäftes verstärkt auf der Strecke? Wir müssen das menschliche Mass wiederfinden. Unternehmerische Menschen wollen gestalten, nicht einfach reagieren. Der gefühlt sehr schnelle Wandel hat uns stressiger, aber nicht wirklich klüger gemacht. Die Agenda ist voll, aber der Kopf zu oft leer. Was genau sind denn «gute Ideen», was ist «sinnvolles Wachstum» und was ist nur «mehr vom selben»? Welche Externalitäten müssen wir künftig in die Preisgestaltung miteinbeziehen? Wir brauchen dringend Wachstum, aber Wachstum um des Wachstums willen ist die Logik der Krebszelle. Der Wachstumsdruck für Unternehmen ist in der vernetzten Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten viel aggressiver geworden. Entweder man ist Google oder Microsoft und hat quasi Monopolstellungen. Oder man ist klar positioniert ist und hat Alleinstellungsmerkmale. Sonst ist man schnell nur noch in Preiskämpfen. Das Thema der Stunde heisst nachhaltiges Wirtschaften. In Zeiten von Mangellagen und Versorgungsengpässen stellt sich die Frage nach der Balance zwischen Wunsch und Realität. Wie ist dieser scheinbare Gegensatz zu lösen? In den 1970er-Jahren sprachen wir von «Erdölkrise» und «Umweltverschmutzung». Heute sprechen wir von «Energiekrise“ und «Klimawandel». Das zeigt die Veränderungen in der Wahrnehmung plastisch auf. Nachhaltigkeit kostet Geld, viel Geld. Die Schweiz ist reich, sehr reich, und kann eine Vorreiterrolle spielen. Aber wir dürfen vom Zeithorizont 34 Baselland Business
her nicht naiv sein. Wirtschaft ist immer nur ein Energieumwandlungssystem. Unsere Erfolgsformel im Westen lautete bislang: «Wohlstandsdemokratie = Wirtschaftswachstum = Wachstum CO₂-Emissionen (total) = sozialer Friede». Wir übersehen grosszügig, dass Digitalisierung nicht Dematerialisierung heisst, und dass wir mehr Energie brauchen werden denn je. Digitalisierung ist die neue Industrialisierung. Die Wir übersehen grosszügig, dass Digitalisierung nicht Dematerialisierung heisst, und dass wir mehr Energie brauchen werden denn je. Abhängigkeit von Stahl, Beton, Plastik usw. kann man nicht einfach abschütteln oder ersetzen. Daher wird der Übergang in die Welt der Erneuerbaren viel länger dauern. Neue Fragen wachsen schneller als Antworten – von künstlicher Intelligenz über Kryptowährungen bis Biotechnologie. Die Regulierungsdichte wird zunehmen. All das verlangsamt auch wieder. Und wir müssen uns fragen, wie die neue Erfolgsformel lautet. Das Gottlieb Duttweiler Institut kümmert sich um die Trends und gesellschaftlichen Wandlungen der Zukunft . Wo geht der Weg lang, auf was müssen sich Wirtschaft und Konsumierende in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einstellen? Wir sind in einer Zwischenphase. Wir wissen nur nicht, zwischen «was» wir uns befinden. Die aktuelle Gemengelage besteht aus einer Vielzahl von disparaten, aber doch verbundenen Krisenherden: Krieg, Inflation, Verschuldung der Staaten, Pandemie, Energie, Cyberkriminalität, Nachhaltigkeit. Was heisst hier Leadership? Die künstliche Intelligenz kann einen Premierminister oder eine Präsidentin beratend ergänzen, aber nicht ersetzen. Wir brauchen in der Führung nüchterne, geduldige Personen, die nicht gleich verzweifeln und sich von Dummheiten ablenken lassen. Es wird uns in der reichen Schweiz auch in zehn Jahren noch gut gehen. Aber einseitige Überflusserfahrungen werden immer mehr auch mit Mangelerfahrungen zusammengehen. Nehmen Sie die Zwischenphase als eine Phase der Reinigung, der Katharsis. Viele Menschen sind stark verunsichert – wo führt das alles hin, was macht die Digitalisierung oder die künstliche Intelligenz mit uns, wie und wo arbeite ich in einigen Jahren, wie komme ich mit meinem Geld noch zurecht, muss ich mein Auto, meine Heizung ersetzen? Wie berechtigt sind diese Zukunftsängste und wie können wir ihnen begegnen? Von allen Nachhaltigkeitsthemen ist die soziale Nachhaltigkeit die mit
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