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Standpunkt 494, 13.12.2019

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10 | Standpunkt der Wirtschaft BERUFSBILDUNG 13. Dezember 2019 DUALE BILDUNG – Unternehmen, die Lernende ausbilden, profitieren gleich doppelt: Zum einen übertrifft der Nutzen, den Lernende einem Unternehmen bringen, in den meisten Fällen die Kosten, und zum anderen gelten Lehrbetriebe auch als innovationsfreudiger. Lernende ausbilden zahlt sich doppelt aus Am vergangenen 26. November fand in Bern die «Herbsttagung der Berufs bildung 2019» statt. Dieser wichtige, vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SFBI durchgeführte Anlass widmete sich unter anderem dem vermeintlichen Spannungsfeld «Berufsbildung und Innovation». Am gleichen Tag gab das «Schweizerische Observatorium für die Berufs bildung» (OBS EHB) die Resultate der neuesten Kosten-Nutzen- Erhebung zur Lernendenausbildung bekannt. Das Fazit ist klar: Das schweizerische Berufsbildungssystem leistet einen wichtigen Innovationsbeitrag. Und die Lernendenausbildung zahlt sich für die Lehrbetriebe insgesamt aus. Innovationstreiber Berufsbildung Laut Uschi Backes-Gellner, Professorin an der Universität Zürich, wird in wissenschaftlichen Beiträgen und öffentlichen Diskussionen immer die grosse Bedeutung der akademischen Forschung und Lehre für die Innovation hervorgehoben. «VERSCHIEDENE EMPIRI- SCHE STUDIEN BELEGEN, DASS IN DER SCHWEIZ DIE BERUFSBILDUNG EINEN WESENTLICHEN BEITRAG LEISTET ZUR INNOVATION IN DEN BETRIEBEN.» Durchschnittlicher Nettonutzen der häufigsten dreijährigen EFZ-Ausbildungen in 1000 Franken. Grafik: zvg/obs ehb ANZEIGE In diesem Kontext würden die Berufsbildung und ihr Innovationsbeitrag in der Regel ausgeblendet oder sogar in Zweifel gezogen. Backes-Gellner räumte an der «Herbsttagung der Berufsbildung» ein, dass in anderen Ländern, vor allem im angelsächsischen Raum, die Universitäten der primäre Innovationstreiber sind und dort Berufswelt und Innovation oft einen Widerspruch darstellen. Nicht so in der Schweiz. Verschiedene empirische Studien belegen, dass in der Schweiz die Berufsbildung einen wesentlichen Beitrag leistet zur Innovation in den Betrieben und zur Innovationsfähigkeit der Gesamtwirtschaft. Vor allem schafft und sichert die Berufsbildung die für Innovationen notwendigen und zukunftsfähigen beruflichen Qualifikationen. Die duale Berufsbildung und die Durchlässigkeit dieses Bildungssystems bieten zudem vielfältige Möglichkeiten zur höheren beruflichen Qualifizierung und zur Mobilität. Schliesslich schafft die hohe Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit der Schweizer Berufsbildung auch die Voraussetzung dafür, dass der innovationsbedingte Wandel des Arbeitsmarktes stattfindet und auch bewältigt werden kann. Interessant ist auch die Feststellung, dass Lehrbetriebe respektive Unternehmen mit einem breiteren Skill-Mix innovativer sind als Betriebe, welche nicht ausbilden oder/und sehr einseitige Kompetenzen aufweisen. Einbezug von neuen Unternehmen Das Erfolgsmodell Berufsbildung ist aber kein Selbstläufer; auch hier stellen sich verschiedene Herausforderungen. Damit die Innovationsfähigkeit bestehen bleibt, müssen die Verbundpartner Staat und Wirtschaft die beruflichen Ausbildungsinhalte zukunftsfähig halten, indem sie regelmässig und systematisch aktualisiert und den Erfordernissen des technologischen Wandels angepasst werden. Dabei soll die Berufsbildung aber nicht unnötig verschult werden. Vielmehr muss sie gestärkt und da- mit gegen die akademische Bildung verteidigt werden. Die Beteiligung von neuen Betrieben (Start-ups) und internationalen Unternehmen an der Berufsbildung wird in Zukunft ein weiterer wichtiger Schritt sein, um die Innovationsfähigkeit zu fördern und zu sichern. Das schweizerische Berufsbildungssystem steht und fällt mit der Bereitschaft von Betrieben, junge Menschen auszubilden und ihnen eine berufliche Perspektive zu geben. Die Lernendenausbildung ist aber nicht nur eine zukunftssichernde Investition der KMU-Wirtschaft, sondern sie soll sich für die Lehrbetriebe bereits während der Ausbildungszeit lohnen. Lohnendes Engagement Die vierte «Erhebung zu Kosten und Nutzen der beruflichen Grundbildung» des Schweizerischen Observatoriums für die Berufsbildung OBS EHB, deren Resultate am vergangenen 26. November publiziert wurden, zeigt klar, «dass die Ausbildung von Lernenden für die Betriebe insgesamt ein lohnendes Engagement ist». Bei den meisten Ausbildungsbetrieben übertrifft der Nutzen die Kosten bereits während der Ausbildung. Im Schnitt aller Lehrberufe (Fähigkeitszeugnis EFZ und Berufsattest EBA) beträgt der Nettonutzen rund 3000 Franken pro Jahr und Lehrverhältnis. Insgesamt wiesen 63 Prozent der Betriebe einen Nettonutzen auf, während bei 37 Prozent der befragten Betriebe am Ende der Lehrzeit die Kosten überwogen. Insgesamt tragen die schweizerischen Lehrbetriebe pro Jahr rund 5 Milliarden Franken Ausbildungskosten in der beruflichen Grundbildung. Mehr als drei Viertel der rund 6000 befragten Lehrbetriebe sind mit dem Kosten- Nutzen-Verhältnis der eigenen Ler- nendenausbildung «zufrieden» oder «sehr zufrieden». Hinterfragt wurde zudem die Tauglichkeit der Bildungsverordnungen und -pläne. 83 Prozent der Betriebe bestätigten, dass die in den Bildungsplänen festgelegten Ausbildungsinhalte für sie relevant sind. 12 Prozent der befragen Betriebe vermitteln zusätzliche Qualifikationen, die nicht im Bildungsplan vorgesehen sind. Die aktuelle Studie bezieht sich auf das Ausbildungsjahr 2016/2017. «63 PROZENT DER BETRIEBE WIESEN EINEN NETTONUTZEN AUF, WÄHREND BEI 37 PROZENT DIE KOSTEN ÜBERWOGEN.» Die aktuellen Ergebnisse bestätigen die Resultate früherer Erhebungen. Spitzenreiter Maler Interessant ist der Vergleich des durchschnittlichen Nettonutzens bei den häufigsten dreijährigen EFZ-Ausbildungen (siehe Grafik oben): An der Spitze rangieren die Maler, auf den weiteren Spitzenrängen folgen die Fachleute Betriebsunterhalt, Sanitärinstallateure, Logistiker, Dentalassistenten/-innen, Montage-Elektriker/in und Coiffeur/Coiffeuse. Bei diesen sieben Berufsbildern ergibt sich ein über die gesamte Lehrzeit berechneter Nettonutzen von je mehr als 20 000 Franken. Die Schlusslichter tragen die Fachleute Gesundheit, Maurer/in, Koch/ Köchin und Hotelfachleute. Bei diesen vier Berufsbildern überwiegen laut der erwähnten Studie die Kosten den Nutzen. Urs Berger

13. Dezember 2019 BERUFSBILDUNG Standpunkt der Wirtschaft | 11 FACHKRÄFTEMANGEL – Die Baselbieter Regierungsrätin Monica Gschwind sagt, dass der Kanton den Fachkräftemangel nur gemeinsam mit der Wirtschaft erfolgreich meistern könne. Im Baselbiet sei die Zusammenarbeit seit Jahrzehnten sehr gut. «Wir müssen die Flexibilität fördern» Standpunkt: Frau Regierungsrätin Gschwind, der Fachkräftemangel ist auch in unserer Region ein ernstes Thema. Wie reagiert der Kanton darauf? Regierungsrätin Monica Gschwind: Im Rahmen der kantonalen Wirtschaftsförderung haben wir bereits vor drei Jahren eine Kooperationsgruppe gebildet, die sich mit dem Fachkräftebedarf beschäftigt und dem Regierungsrat jährlich einen Lage bericht unterbreitet. Darin vereint sind Vertreterinnen und Vertreter der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion, der Finanz- und Kirchendirektion sowie der Volkswirtschaftsund Gesundheitsdirektion, der Wirtschaftskammer Baselland, der Handelskammer beider Basel sowie des Branchenverbands für Gesundheitsberufe beider Basel. «DIE DATEN FÜR DIE REGION ZEIGEN AUF, DASS VOR ALLEM DAS GESUNDHEITSWESEN UND DIE MINT-BERUFE EINEN DEUTLICHEN FACHKRÄFTEMANGEL AUFWEISEN.» Welche konkrete Aufgabe hat diese Kooperationsgruppe? Sie verfolgt die relevanten Entwicklungen, pflegt den Dialog mit der Wirtschaft und arbeitet Aktionspläne für die beiden Basel und Solothurn aus. In Zusammenarbeit mit Experten adaptierte die Gruppe ein bewährtes Indikatorenmodell, welches die Schwere des Fachkräftemangels für rund 100 Berufe aufzeigt. Es basiert auf Eckwerten wie zum Beispiel dem Verhältnis zwischen offenen Stellen und Stellensuchenden oder der vergangenen Zeit bis zur Stellenbesetzung, gerechnet von der Ausschreibung. In welchen Bereichen bestehen in unserer Region die markantesten Fachkräftemängel? Die Daten für die Region zeigen auf, dass vor allem das Gesundheitswesen und die MINT-Berufe einen deutlichen Fachkräftemangel aufweisen. Uns fehlt qualifiziertes Pflegepersonal, aber es mangelt auch an Elektroingenieuren, Software-Entwicklern, Analytikern und Installateuren. «WIR MÜSSEN ALSO DIE BERUFS BILDUNG BEDARFSORIENTIERT WEITER ENTWICKELN UND VOR ALLEM WEITER STÄRKEN.» Wo liegen die Gründe für die fehlenden Fachkräfte? Etwas vereinfacht ausgedrückt: unsere Gesellschaft altert. Der Anteil der erwerbsfähigen Personen geht entsprechend zurück. Aber auch der Strukturwandel trägt zum Fachkräftemangel bei. Die rasant fortschreitende Digitalisierung erfordert neue, vor allem höhere, Qualifikationen. Wir müssen also die Regierungsrätin Monica Gschwind steht der Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion vor. Berufs bildung bedarfsorientiert weiter entwickeln und vor allem weiter stärken. Nur so können wir dem Fachkräftemangel wirkungsvoll begegnen. Wie kann der Kanton die Berufsbildung stärken? Wir können uns in puncto Information im Bereich der beruflichen Orientierung noch steigern. Schulisch starke Jugendliche wissen oft zu wenig über die Lehre als Karriere einstieg oder begegnen dieser Option mit Vorurteilen – obwohl unter dessen viele attraktive Berufsbilder einen prall gefüllten Rucksack erfordern. Jugendlichen, Eltern und Lehrpersonen müssen wir also noch viel stärker bewusst machen, dass der Weg über die Berufsbildung eine Laufbahnentwicklung in alle Richtungen offen lässt. Dass die dies jährige Baselbieter Berufsschau von allen Niveau-P- Sekundarschul klassen im Kanton besucht wurde, war deshalb eminent wichtig. Mit welchen Massnahmen oder Angeboten wollen Sie für die Berufsbildung sensibilisieren? Hier laufen bereits verschiedene erfolgversprechende Projekte wie zum Beispiel die Laufbahnorientierung auf allen Stufen. «WIR MÜSSEN UNSERE SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER SCHON FRÜHZEITIG FÜR NATURWISSENSCHAFTEN UND TECHNIK BEGEISTERN.» Damit wollen wir die Quote der direkten Übertritte in die Sekundarstufe II und ins duale Ausbildungssystem erhöhen. In Zusammenarbeit mit Basel-Stadt soll ausserdem das Marketing für die Berufs matur in- tensiviert werden. Angesichts des Fachkräftemangels in den sogenannten MINT-Berufen müssen wir unsere Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig für Naturwissenschaften und Technik begeistern. Bereits bestehende Angebote wie zum Beispiel «tunBasel» müssen unbedingt weitergeführt und – wo nötig – sogar ausgebaut werden. Erwähnen will ich aber auch das Projekt «Fit in die Lehre» der Wirtschaftskammer Basel land, mit dem vor allem Lehrpersonen gezielt über den Fachkräftebedarf im KMU-Bereich informiert werden. Wie sehen Sie die Rolle der Wirtschaft? Die Berufsbildung ist eine klassische Verbundaufgabe von Staat und Wirtschaft. Im Baselbiet pflegen die kantonalen Bildungsbehörden und die KMU-Wirtschaft eine seit Jahrzehnten bewährte und sehr gute Zusammenarbeit. Ich bin überzeugt, dass wir die vor uns liegenden Herausforderungen – gerade auch im Bereich Bild: zVg Fachkräftemangel – nur gemeinsam erfolgreich meistern können. «IM BASELBIET PFLEGEN DIE KANTONALEN BILDUNGSBEHÖRDEN UND DIE KMU- WIRTSCHAFT EINE SEIT JAHRZEHNTEN BEWÄHRTE UND SEHR GUTE ZUSAMMENARBEIT.» Nicht nur die Berufsbildung, sondern das gesamte Bildungs angebot muss Flexibilität und Mobilität fördern und so ausgestaltet sein, dass unsere Schulabgänger auf die Dynamik und die Virtualisierung der Arbeitswelt vorbereitet sind. Interview: Marcel W. Buess

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